Gerechtigkeit fuer Igel
haben wir diese entscheidenden Fragen bereits im letzten Kapitel zu beantworten begonnen, und zwar im Rahmen der Erörterung der politischen Legitimität und der engen Verbindungen zwischen die
558 ser wichtigen Idee und den beiden für die Ethik und die Moral grundlegenden Prinzipien der Menschenwürde.
Lassen Sie mich kurz die wesentlichen Ergebnisse dieser Diskussion in Erinnerung rufen. Nur wenn eine politische Gemeinschaft ihre Mitglieder entsprechend den Prinzipien der gleichen Berücksichtigung und Achtung behandelt – wenn ihre politischen Maßnahmen also das Schicksal jedes einzelnen als gleich wichtig behandeln und die individuelle Verantwortung für das eigene Leben achten –, hat die Gemeinschaft die moralische Macht, ihren Mitgliedern Verpflichtungen aufzuerlegen und diese auch durchzusetzen. Dieses Prinzip der Legitimität ist die abstrakteste Quelle politischer Rechte. Eine Regierung hat nur dann die moralische Autorität, Zwang anzuwenden, wenn sie diese beiden Forderungen hinsichtlich jeder Person respektiert, selbst wenn jener Zwang die Wohlfahrt, das Wohlergehen oder das Gute der Gemeinschaft als Ganzer befördern würde. Die Prinzipien der Würde formulieren daher sehr abstrakte politische Rechte, die kollektive politische Maßnahmen der Regierung übertrumpfen. Daher können wir die folgende Hypothese formulieren: Alle politischen Rechte lassen sich aus diesem grundlegenden Recht ableiten. Konkrete Rechte lassen sich bestimmen und verteidigen, indem wir genauer herausarbeiten, was gleiche Berücksichtigung und Achtung eigentlich erfordern.
Diese Hypothese erklärt die herausragende Bedeutung, die bestimmten interpretativen Begriffen wie Gleichheit und Freiheit in der Politischen Theorie der Gegenwart zukommt. In reifen Demokratien teilen fast alle Menschen die abstrakte Auffassung, daß die Regierung alle ihrer Herrschaft Unterworfenen gleichermaßen berücksichtigen und ihnen diejenigen Freiheiten zugestehen muß, die sie benötigen, um für sich selbst zu bestimmen, was ein gelingendes Leben ist. Welche konkreteren Rechte aus diesen abstrakten Rechten folgen, bleibt jedoch kontrovers. So sind wir uns etwa uneins, ob die Regierung sich auf dieser Grundlage um eine weniger ungleiche Verteilung
559 des Wohlstands unter den Bürgern bemühen muß und wie nahe wir in diesem Fall dem Ideal der absoluten Gleichverteilung kommen müssen. Umstritten ist auch, inwiefern und auf welche Weise die Regierung die Handlungsfreiheit der Bürger einschränken kann, ohne ihre Verantwortung für ihr eigenes Leben zu mißachten. So streiten wir uns etwa darüber, ob Gesetze, die Pornographie oder Abtreibung verbieten oder zum Anlegen von Gurten beim Autofahren verpflichten, dieser Forderung der Menschenwürde widersprechen, und indem wir versuchen, Antworten auf diese Fragen zu finden, entwickeln wir Schritt für Schritt eine substantielle Theorie politischer Rechte als Trümpfe. Das erklärt, warum politische Rechte zwischen, aber auch innerhalb von Kulturen so kontrovers sind.
Eine substantielle Theorie politischer Rechte kann auf sparsamste Weise dadurch entwickelt werden, daß wir spezifische Auffassungen dieser interpretativen Grundbegriffe konstruieren und verteidigen, und genau das werde ich in den folgenden Kapiteln versuchen. Erinnern Sie sich daran, daß wir die beiden Grundprinzipien der Würde so zu interpretieren bestrebt sind, daß kein Kompromiß zwischen ihnen notwendig wird, sondern sie sich vielmehr wechselseitig ergänzen und verstärken. Daher muß der gegenwärtig unter Politischen Philosophen sehr verbreitete Gedanke, daß Freiheit und Gleichheit konfligierende Werte sind, zurückgewiesen werden. Ziel ist, Gleichheit und Freiheit gemeinsam zu bestimmen, nicht nur als vereinbar, sondern als miteinander verwoben.
Politische und juridische Rechte
Juridische Rechte müssen von politischen Rechten unterschieden werden, obwohl das nicht so einfach ist, wie viele Rechtstheoretiker annehmen. Im 19. Kapitel werde ich auf diese Unterscheidung und spezifisch auf juridische Rechte eingehen. Für unsere jetzigen Zwecke ist es ausreichend, paradigmatisch
560 für juridische Rechte den Standardfall anzuführen: Ein juridisches Recht ist ein Recht, das durch die gesetzgebende Institution einer legitimen Regierung verabschiedet wird und dann in Reaktion auf entsprechende Forderungen seitens individueller Bürger gegebenenfalls auf der Grundlage von Urteilen rechtsprechender Institutionen wie Gerichten
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