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Gerechtigkeit fuer Igel

Gerechtigkeit fuer Igel

Titel: Gerechtigkeit fuer Igel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Dworkin
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Hinsicht sind sie das?
    In erster Linie handelt es sich dabei nur um eine Frage der Klassifikation. Gefragt wird nach einem Standard, den ein Recht erfüllen muß, um als Menschenrecht zu gelten, ohne daß damit notwendig bereits ein Test dafür zur Verfügung gestellt oder auch nur angedacht wird, wann Rechte diesen Standard erfüllen. Wie Charles Beitz betont, darf diese Klassifikation jedoch nicht willkürlich sein.
 3 Sie muß sich vielmehr aus einer Interpretation der von ihm so genannten »diskursiven« Praxis der Menschenrechte ergeben, zu der heute Forderungen internationaler Verträge und anderer Rechtsdokumente sowie politischer Repräsentanten, internationaler Staatenzusammenschlüsse, rechtlicher Instanzen, Nichtregierungsinstitutionen und akademischer Diskussionen gehören. Um praktische Relevanz zu haben, muß eine Klassifikation dieser Praxis hinreichend gut entsprechen, obwohl nicht vorab entschieden werden sollte, ob die konkreten und in der Praxis weithin anerkannten Rechte tatsächlich als Menschenrechte gelten sollten.
    563 Die folgende Klassifikationsweise wird von einer Reihe von Autoren vertreten:
 4 Menschenrechte sind jene Rechte, die nicht nur kollektive Ziele auf der nationalstaatlichen Ebene, sondern auch ein bestimmtes Verständnis von staatlicher Souveränität übertrumpfen – in diesem Zusammenhang wird oft von einer westfälischen Auffassung der Souveränität gesprochen, weil sie für das durch den Westfälischen Frieden etablierte System der Nationalstaaten eine wesentliche Rolle gespielt hat –, dem zufolge ein Staat oder ein Zusammenschluß von Staaten nicht in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates eingreifen darf. Nationalstaaten dürfen weder durch tatsächliche Zwangsmaßnahmen noch durch deren Androhung oder andere Sanktionen versuchen, einem anderen Staat bestimmte Maßnahmen oder eine bestimmte politische Führung zu oktroyieren. Entsprechend sollen nun diejenigen Rechte zu den Menschenrechten zählen, die wichtig genug sind, die so verstandene Souveränität von Nationalstaaten zu übertrumpfen. Wenn von den Instanzen, die Autorität über ein bestimmtes Gebiet beanspruchen, die Menschenrechte der ihrer Herrschaft unterworfenen Menschen verletzt werden, haben andere Staaten das Recht, sie unter dem Einsatz von Mitteln daran zu hindern zu versuchen, die andernfalls nicht gestattet wären – etwa durch ökonomische Sanktionen oder sogar eine Militärintervention.
    Würden wir diese Klassifikation und die angedeutete Schlußfolgerung akzeptieren, so müßten wir auf einer anderen Grundlage entscheiden, welche politischen Rechte von hinreichender Bedeutung sind, um derartige Sanktionen zu rechtfertigen. Zudem müßten bestimmte wichtige Vorbehalte angesprochen werden. Jede ins Auge gefaßte Militärintervention oder folgenreiche ökonomische Sanktion müßte zwei weitere Tests bestehen. Erstens müßte die Organisation oder der Staat, die oder der die Sanktionen vorschlägt, dazu durch internationales Recht autorisiert sein. Viele Völkerrechtler sind der Auffassung, daß nur eine internationale Institution, nämlich der Si
564 cherheitsrat der Vereinten Nationen, in der Lage wäre, solche Maßnahmen zu autorisieren; andere sehen das anders. Die zweite Bedingung ist genauso wichtig: Von jeder Sanktion muß vernünftigerweise erwartet werden können, daß sie mehr positive als negative Konsequenzen hat. Selbst wenn der Einmarsch der Vereinigten Staaten in den Irak 2003 durch das Völkerrecht gedeckt gewesen wäre, wäre er an diesem zweiten Test gescheitert.
    Aber auch wenn wir diese weitergehenden Bedingungen miteinbeziehen, scheint die Idee von Trümpfen-über-Souveränität die Meßlatte etwas zu hoch zu hängen. Menschenrechtskonventionen umfassen eine Reihe von Rechten, deren Verletzung nicht einmal ökonomische Sanktionen, geschweige denn eine militärische Intervention rechtfertigen würden. So beinhaltet etwa die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ein Recht auf Bildung, Wohnung, soziale Sicherheit, Heirat, eine angemessene Entlohnung für Arbeit, gleichen Lohn für gleiche Arbeit und die Unschuldsvermutung in Strafprozessen. Ein Protokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention verbietet die Todesstrafe. Dennoch wäre es falsch, wenn die internationale Gemeinschaft selbst mit Erlaubnis des Sicherheitsrates und Aussicht auf Erfolg in einen Staat einmarschieren würde, um gleichen Lohn für Frauen oder bessere Grundschulen durchzusetzen, oder

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