Gerechtigkeit fuer Igel
Beziehungen wie Freundschaften unterliegen. Politische Verpflichtungen gehören zur letzteren Kategorie, weil sie sich aus einer Beziehung ergeben, in der die Mitbürger einer politischen Gemeinschaft zueinander stehen. Zugleich markieren sie jedoch den Übergang vom Persönlichen zum Politischen, weil Bürger ihren politischen Verpflichtungen teilweise durch eine separate und künstliche kollektive Entität nachkommen. Politische Gemeinschaften sind nichts als Ansammlungen von Individuen, wobei jedoch manche dieser Individuen eine besondere Rolle innehaben und über die Macht verfügen, individuell oder gemeinsam im Namen der Gemeinschaft als Ganzer zu handeln. Aus diesem Grund müssen wir die politische Moral als eigenständige Wertsphäre anerkennen. In der Ethik
554 geht es darum, wie Menschen am besten ihrer Verantwortung für eine gelungene Lebensführung nachkommen, und in der persönlichen Moral geht es darum, was wir jeweils als Individuum anderen schulden. Hingegen handelt die politische Moral davon, was wir alle gemeinsam anderen Individuen schulden, wenn wir als diese kollektive Person oder in ihrem Namen handeln.
Diesem thematischen Übergang von der persönlichen zur politischen Moral entspricht auch eine Veränderung im Argumentationsstil. Über Fragen der persönlichen Moral habe ich bisher nur wenig veröffentlicht, und daher sind die vorangehenden Kapitel ziemlich erklärend und detailliert ausgefallen. Hingegen habe ich mich zu Fragen der politischen Moral bereits recht ausführlich geäußert – insbesondere in Die Grenzen des Lebens , Sovereign Virtue
* und Is Democracy Possible Here? –, so daß die verbleibenden Kapitel etwas konziser ausfallen können. Diese Bücher sollten als in das vorliegende durch Verweise integriert betrachtet werden, und ich werde Sie auf bestimmte Passagen hinweisen, in denen hier nur zusammengefaßte Argumente ausführlicher entwickelt sind. Mein Ziel ist es, meiner Ankündigung zu Beginn des ersten Kapitels gerecht zu werden, indem ich zeige, daß sowohl die verschiedenen Teile dieses Buches in der politischen Moral konvergieren, als auch jeder einzelne Teil in der Zusammenschau mit der politischen Moral als mit allen anderen Teilen konvergierend betrachtet werden kann. Die politische Moral soll so in die übergeordnete interpretative Struktur eingewoben werden. In den folgenden Ausführungen werde ich Ihnen also sozusagen immer wieder neuen Wein einschenken, aber Sie werden auch auf alten Wein stoßen, der, wie ich bereits bemerkt habe, nun in neuen Schläuchen abgefüllt ist.
Im Zusammenhang mit Problemen der Ethik und der persönlichen Moral habe ich mich auf den Begriff der Verantwortung gestützt – also auf das, was Menschen um ihrer selbst oder um anderer willen tun müssen –, und nicht auf die häufig als
555 dessen Gegenstück betrachtete Idee eines Rechts – also dessen, worauf Menschen einen Anspruch haben. In der Ethik stellt die Verantwortung einen besonders geeigneten Fokus dar, weil es, wenn wir darüber urteilen, was eine gelungene Lebensführung ausmacht, naheliegender und angemessener ist, darüber nachzudenken, wofür wir verantwortlich als was wir zu fordern berechtigt sind. Es wäre aber auch möglich gewesen, jene Probleme der Moral auf der Basis der Idee der Rechte zu diskutieren und etwa zu fragen, auf welche Art von Hilfe wir alle ein Recht haben, selbst gegenüber Fremden, oder welche Art von Beistand Freunde oder Liebende oder Bürger voneinander zu erwarten berechtigt sind. Wenn wir uns nun der politischen Moral zuwenden, sind Rechte eindeutig ein besserer Fokus als Pflichten oder Verpflichtungen, weil sich präziser bestimmen läßt, wo sie zu verorten sind: Individuen haben politische Rechte, denen teilweise aber nur kollektive Pflichten entsprechen, die der Gemeinschaft als Ganzer und nicht einzelnen Individuen zukommen.
Beginnen wir mit der Idee eines politischen Rechts selbst, mit seinem Wesen und seiner normativen Kraft. Welche Art von Rechten haben wir jeweils als Individuen gegenüber unserem Staat – also gegenüber uns als Kollektiv betrachtet? Hier müssen wir vorsichtig sein, weil das Wort »Recht« in so vielen unterschiedlichen Bedeutungen verwendet wird. Wir sprechen davon, daß eine bestimmte Landwirtschaftspolitik »zu Recht« verfolgt wird oder daß jemand sich »mit Recht« um den Klimawandel sorgt. Politiker behaupten oft, die Bevölkerung hätte »ein Recht« auf etwas – auf eine restriktivere
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