Gerechtigkeit fuer Igel
konkurrieren nicht, sondern arbeiten zusammen.
Weitere Freiheiten: Rechtssicherheit und Redefreiheit
Bestimmte Rechte werden traditionell als »liberale Rechte« bezeichnet. Dazu gehören zum einen Rechte, die hier bereits angesprochen wurden, wie etwa die Religionsfreiheit und das Recht auf freie politische Meinungsäußerung, aber auch ganz andere Rechte, wie etwa das Recht, die Gemeinschaft zu verlassen, und das Recht auf ein Gerichtsverfahren, das die Verurteilung und Bestrafung unschuldiger Menschen für ein ihnen angelastetes Verbrechen mit möglichst großer Sicherheit ausschließt. Abstrakt verstanden werden jene liberalen Rechte zumindest in den westlichen Demokratien akzeptiert, im Detail sind sie aber durchaus umstritten. Ob zum Beispiel zur Redefreiheit das Recht gehört, Werbung für Zigaretten zu machen oder politische Kampagnen uneingeschränkt zu finanzieren, und ob Rechtssicherheit bedeutet, daß eine Jury an der Urteilsfindung beteiligt ist und jeder ein Recht hat, sich nicht selbst belasten zu müssen, ist unter Rechtstheoretikern und auch international durchaus umstritten. Wie kann man diese Rechte abstrakt oder auch im Hinblick auf solche kontroversen Detailfragen begründen?
Das Recht auf Religionsfreiheit gründet offensichtlich in der ethischen Unabhängigkeit, und ich werde darauf und auf seine Implikationen später in diesem Kapitel noch einmal zurückkommen. Die Rechtssicherheit scheint hingegen kaum etwas mit ethischer Verantwortung zu tun zu haben; unser entsprechender Anspruch beruht auf der aus dem ersten Prinzip der Würde folgenden Verpflichtung der Regierung, das Leben jeder Person als eigenständig, objektiv und gleichermaßen wichtig zu behandeln. An anderer Stelle habe ich zu erklären versucht, warum die Bestrafung einer unschuldigen Person die
630 ser auf besondere Weise und in erheblichem Maße schadet, und in diesem Zusammenhang von einem moralischen Schaden gesprochen. Dabei bin ich auch darauf eingegangen, warum diese Tatsache die Annahme rechtfertigt, daß es, wie gern behauptet wird, besser ist, tausend schuldige Menschen unbehelligt zu lassen, als einen Unschuldigen zu strafen.
8 Wieviel eine Gemeinschaft investieren muß, um diesen schrecklichen Schaden zu vermeiden, ist eine interessante Frage, bei deren Beantwortung auch die Geschichte und Tradition dieser Gemeinschaft berücksichtigt werden müssen; wenn diese es aber im Rahmen der Beweisführung an Sorgfalt fehlen läßt oder nicht genug in den Schutz vor möglichen Fehlurteilen investiert, verstößt das gegen das erste Prinzip der Menschenwürde – und selbstverständlich gilt das auch für jede Gemeinschaft, die eine absichtliche Verurteilung Unschuldiger zuläßt.
Die Redefreiheit, der in der traditionellen Konzeption liberaler Rechte eine gleichermaßen zentrale Position zukommt, verlangt eine nuanciertere Erörterung.
9 Unter US -amerikanischen Verfassungsjuristen wird heute weitgehend angenommen, daß der erste Verfassungszusatz, der es der Regierung verbietet, die Redefreiheit einzuschränken, durch eine Reihe von Prinzipien und Zwecken gerechtfertigt ist, von denen einige auf der positiven Freiheit beruhen. Die Redefreiheit muß aus mindestens zwei separaten und gleichermaßen wichtigen Gründen Teil jeder vertretbaren Konzeption der Selbstregierung sein, weil letztere zum einen freien Zugang zu Informationen voraussetzt und weil eine Regierung zum anderen nur dann legitim ist und somit Zwang anwenden darf, wenn alle diesem Zwang unterstehenden Menschen die entsprechenden kollektive Entscheidungen mit beeinflussen konnten. (Im nächsten Kapitel werde ich noch einmal näher auf diese Behauptungen eingehen.)
So wie sie heute in westlichen Demokratien verstanden wird, betrifft die Redefreiheit aber mehr als nur politische Meinungsäußerungen, selbst im weitesten Sinne verstanden, und
631 um zu erklären, was unter jenen Begriff fällt und was nicht, genügt es nicht, auf die positive Freiheit zu verweisen. Obwohl Regierungen unterschiedliche Positionen hinsichtlich der Förderung des in Literatur, Kunst und Musik für intrinsisch wertvoll Gehaltenen vertreten können, dürfen sie ihren Bürgern nicht verbieten, zu lesen, zu betrachten und zu hören, was sie wollen, solange ihre einzige Rechtfertigung darin besteht, bestimmte Antworten auf die Frage, was es wert ist, genossen zu werden, für an sich anstößig zu erklären oder einen schädlichen Einfluß zu stipulieren. Sexuell explizites Material
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