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Gerechtigkeit fuer Igel

Gerechtigkeit fuer Igel

Titel: Gerechtigkeit fuer Igel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Dworkin
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verhindern, daß bestimmte externe Faktoren die Metrik der Opportunitätskosten untergraben. Aus demselben Grund sind zum Beispiel auch bestimmte sehr strenge Vorschriften gegen Umweltverschmutzung nötig sowie gewisse staatliche Dienstleistungen wie etwa ein öffentliches Gesundheitswesen, weil über sie eine Umverteilung im Sinne der Fairneß am effizientesten gewährleistet werden kann. Trotzdem verlangt die gleiche Berücksichtigung und Achtung aller, daß ein System des Privateigentums stets
636 die erste Wahl ist und jede Abweichung davon einer Rechtfertigung bedarf. Konservative Politiker sind also im Unrecht, wenn sie Steuern als Angriff auf die negative Freiheit verstehen, weil sie ein falsches Verständnis von Gerechtigkeit haben, und nicht weil sie einen begrifflichen Fehler begehen. Wenn die Höhe der Steuern oder die Struktur des Steuersystems ungerecht sind, kann das durchaus eine Einschränkung der negativen Freiheit bedeuten – wenn darin nämlich nicht eine gleiche Berücksichtigung und Achtung aller zum Ausdruck kommt. In vielen Ländern ist das Steuersystem gegenwärtig tatsächlich ungerecht, aber nicht, weil die Steuern zu hoch, sondern weil sie zu niedrig sind. Statt den betreffenden Bürgern etwas zu nehmen, was ihnen von Rechts wegen gehört, gelingt es den entsprechenden Regierungen nicht, die Mittel zur Verfügung zu stellen, die nötig wären, um ihnen zu gewährleisten, was ihnen gebührt.
    Religionsfreiheit und ethische Unabhängigkeit
    Zur ethischen Unabhängigkeit gehört eindeutig auch die Religionsfreiheit. In der Verfassung der Vereinigten Staaten und in anderen Dokumenten wie etwa der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte oder der Europäischen Menschenrechtskonvention ist dieses Recht an prominenter Stelle aufgeführt. Von manchen Denkern wird es nicht mit Bezug auf die Idee der Würde begründet, sondern zum Beispiel damit, daß Religionen besonders konfliktträchtig seien und religiöse Toleranz daher der einzige Weg zu innerstaatlichem Frieden sei. Obwohl diese Argumentation im 17. und 18. Jahrhundert in Europa und den Vereinigten Staaten durchaus stichhaltig gewesen sein mag, ist das gegenwärtig nicht mehr in derselben Weise der Fall. Im Westen kommt jene Toleranz vor allem kleinen Minderheitenreligionen und Menschen ohne religiöse Überzeugungen zugute, die, wenn man ihnen ihre Rechte vorenthal
637 ten würde, gar nicht dazu in der Lage wären, in der Bevölkerung für wirkliche Unruhe zu sorgen. In einigen anderen Ländern, in denen es eine Staatsreligion gibt und andere Glaubensrichtungen entweder gar nicht oder nur in sehr geringem Maße toleriert werden, scheint die Stabilität dadurch nicht wirklich gefährdet zu sein. Demnach stellt die Würde heute die einzig mögliche Rechtfertigung eines Rechts auf freie Religionszugehörigkeit und Religionsausübung dar.
    Diese Einsicht ist aber nicht mit dem durchaus verbreiteten Gedanken vereinbar, daß die Religion eine Sonderrolle innehat und daher im Zusammenhang mit ihr bestimmte grundlegende ethischen Entscheidungen bezüglich Fortpflanzung, Ehe oder sexueller Orientierung legitimerweise einer kollektiven Entscheidung unterworfen werden können. Wir können nicht ohne Selbstwiderspruch einerseits ein Recht auf freie Religionsausübung befürworten und andererseits das Recht ablehnen, hinsichtlich dieser anderen grundlegenden Fragen frei zu entscheiden, denn wenn wir die Position vertreten, daß im Bereich der Politik keiner Glaubensrichtung eine besondere Stellung zukommen soll, können wir auch die Religion an sich in diesem Bereich nicht als etwas Besonderes behandeln, das für die Würde wichtiger ist als zum Beispiel die sexuelle Identität. Wir dürfen die Religionsfreiheit daher nicht als sui generis behandeln, da sie lediglich aus dem allgemeinen Recht auf ethische Unabhängigkeit im Zusammenhang mit grundlegenden Fragen hervorgeht. Eine Regierung muß die Regulierung der Fortpflanzung oder des Geschlechtsverkehrs stets auf überzeugende Weise begründen können und darf sich dabei nicht auf die Wahrheit oder die Popularität eines bestimmten kollektiven ethischen Urteils berufen. Einige dieser ethischen Fragen habe ich an anderer Stelle ausführlich erörtert. Daher komme ich jetzt nur kurz auf sie zu sprechen, um festzustellen, ob die hier entwickelte Argumentation ein neues Licht auf sie wirft.
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    Abtreibung ist die komplexeste dieser Fragen und generiert die meisten Konflikte. Das erste Prinzip der Würde

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