Gerechtigkeit fuer Igel
Politikwissenschaft geht man davon aus, daß die Demokratie eine Reihe instrumenteller Vorteile besitzt. So wird weithin angenommen, daß demokratische Institutionen, die durch eine freie und aufmerksame Presse unterstützt werden, eine Gemeinschaft gegen massive und verbreitete Formen der Korruption, der Tyrannei und anderer Übel schützen. Außerdem sollen sie die Wahrscheinlichkeit, daß Repräsentanten des Staates nur in ihrem eigenen Interesse oder dem Interesse einer bestimmten Klasse handeln werden, wie das Militärjuntas und andere Diktatoren meist tun, verringern. Zudem werden der Demokratie auch einige positive Vorteile zugesprochen: In einigermaßen wohlhabenden Gemeinschaften, vor allem in solchen mit einer gebildeten Wählerschaft und einer demokratischen Tradition, habe sie eine politisch stabilisierende Wirkung und könne sogar für die Stabilität der Gemeinschaft insgesamt entscheidend sein. Sie ermöglicht es allen wichtigen Interessengruppen innerhalb der Gemeinschaft, durch Bündnisse und Verhandlungen ihnen besonders wichtige politische Ziele zu erreichen. Die in einer Demokratie geltenden politischen Freiheiten schützen zudem die Wirtschaftsfreiheit, des weiteren ist Rechtsstaatlichkeit eine wesentliche Voraussetzung ökonomischer Entwicklung. Leider ist nicht klar, ob diese praktischen Vorzüge sich unter allen Bedingungen einstellen werden. Manche politischen Theoretiker sagen sogar, daß die Einführung der Demokratie in bestimmten Gemeinschaften – zum Beispiel in Staaten mit einer schwachen Wirtschaft oder ohne demokratische Traditionen – die Stabilität oder die ökonomische Entwicklung gefährden könnte. Diesen Fragen müssen wir hier jedoch nicht weiter nachgehen, weil unsere Entscheidung zwischen jenen beiden Mo
653 dellen nicht darauf beruhen kann, welches zu mehr Stabilität oder Wohlstand führen würde – darauf gibt es keine allgemeine Antwort, und alles hängt von den konkreten Umständen ab. Letztendlich geht es uns nicht um Konsequenzen, sondern um Prinzipien.
Meines Erachtens verlangt die Würde der Menschen Partizipation an ihrer eigenen Regierung. Wie beansprucht die majoritäre Konzeption der Demokratie dem Rechnung zu tragen? Die Antwort mag offensichtlich erscheinen: Die Herrschaft der Mehrheit ist die einzig faire Form der Regierung in einer mit Zwangsgewalt ausgestatteten politischen Gemeinschaft. Jeremy Waldron hat diese Argumentation für die majoritäre Demokratiekonzeption, die er als » MD « abkürzt, unter den politischen Theoretikern der Gegenwart am klarsten ausgearbeitet. Ihm zufolge ist »die Verteidigung des Mehrheitsprinzips mit Bezug auf Fairneß/Gleichheit wohlbekannt«: »Mehr als jede andere Regel ist MD neutral im Verhältnis zu verschiedenen umstrittenen Ergebnissen, behandelt die Teilnehmer gleich und gibt jeder geäußerten Meinung das größtmögliche, mit dem gleichen Gewicht für alle anderen Meinungen vereinbare Gewicht. Wenn wir uns über das wünschenswerte Ergebnis uneins sind, wenn wir die Entscheidung nicht von vornherein in der einen oder anderen Weise verzerren wollen und wenn alle relevanten Teilnehmer einen moralischen Anspruch haben, in dem Verfahren als Gleiche behandelt zu werden, dann ist MD – oder etwas ähnliches – das Prinzip unserer Wahl.«
7
Dies ist eine sehr allgemeine Behauptung, die nicht nur politische, sondern alle kollektiven Entscheidungen betrifft. Sie stellt ein allgemeines Prinzip der Fairneß auf. Wenn man dieses allgemeine Prinzip akzeptiert, handelt es sich bei der majoritären Auffassung der Demokratie nur um seine Anwendung auf den Bereich der Politik. Die Popularität dieser Sichtweise ist jedoch erstaunlich, wenn man bedenkt, daß es sich beim Mehrheitsprinzip, dem zufolge einfach Stimmen gezählt werden müssen, klarerweise nicht um ein grundlegendes Prinzip der
654 Fairneß handelt. Zunächst wäre hier das Problem zu nennen, auf das ich bereits hingewiesen habe: Eine Mehrheit kann nur dann moralisch relevant sein, wenn es sich bei der Gemeinschaft, deren Mehrheit sie ist, um die richtige Gemeinschaft handelt. Eine Mehrheit von Japanern und Norwegern hat keinerlei moralische Autorität über das norwegische Öl. Und selbst wenn die Gemeinschaft die richtige ist, kann die Mehrheitsentscheidung nicht immer als fair gelten. Denken Sie an mein Beispiel des überfüllten Rettungsbootes, in dem einer über Bord gehen muß, damit der Rest überleben kann: Eine Abstimmung, die zur Folge hat,
Weitere Kostenlose Bücher