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Gerechtigkeit fuer Igel

Gerechtigkeit fuer Igel

Titel: Gerechtigkeit fuer Igel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Dworkin
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übergreifenden Frage geht. Eine gute Regierung ist demokratisch, gerecht und effizient, was drei verschiedene Eigenschaften sind. Manchmal ist es zum Beispiel wichtig zu fragen, ob eine bestimmte Verfassungsordnung, die dazu beitragen würde, die Gemeinschaft ökonomisch effizienter zu machen, dennoch abzulehnen ist, weil sie undemokratisch ist. Aus diesem Grund ist es von entscheidender Bedeutung, separat auf die Frage, worin die Pointe und das Rückgrat der Demokratie bestehen, einzugehen. Natürlich können wir versuchen, das Wort selbst zu vermeiden und statt dessen nach der Bedeutung der positiven Freiheit oder der Selbstregierung fragen. Das wäre aber nur eine Umformulierung der gleichen Frage.
    An diesem Punkt könnte es hilfreich sein, zwei entsprechende Antworten einander gegenüberzustellen: zwei Modelle der Selbstregierung des Volkes. An anderer Stelle habe ich für sie
648 die Bezeichnungen »majoritäre« und »partnerschaftliche« Konzeption der Demokratie eingeführt.
 2 Der majoritären Konzeption zufolge regiert sich ein Volk dann selbst, wenn grundsätzlich die Mehrheit und nicht eine Minderheit die politische Macht innehat. Dementsprechend soll die Struktur einer repräsentativen Regierung die Wahrscheinlichkeit erhöhen, daß die Gesetze und politischen Maßnahmen der Regierung von der Mehrheit der Bürger nach angemessener Diskussion und Reflexion bevorzugt werden würden. Wahlen sollten in hinreichender Regelmäßigkeit abgehalten werden, um die Repräsentanten zu ermutigen, das zu tun, was die meisten Menschen wollen, und auch die Grenzen von föderalen Untereinheiten und Wahlbezirken sollten so gezogen und die Macht auf die verschiedenen Arten und Ebenen der Repräsentation durch die Verfassung so verteilt werden, daß dieses Ziel befördert wird. Weiterführende Fragen – wie es etwa mit Volksentscheiden oder proportionaler Repräsentation steht – sollten auf dieselbe Weise diskutiert und entschieden werden. Welches System wird am ehesten den reflektierten und dezidierten Willen der Mehrheit der Bürger langfristig auf verläßliche Weise umsetzen?
    Wir sollten die majoritäre Konzeption der Demokratie nicht mit einer aggregativen Theorie der Gerechtigkeit wie etwa dem Utilitarismus verwechseln, der zufolge Gesetze dann gerecht sind, wenn sie in der entsprechenden Gemeinschaft in der Summe oder im Durchschnitt das größtmögliche Glück (oder Wohlergehen) herbeiführen. (Die Formulierung »Wille der Mehrheit« ist auf gefährliche Weise ambivalent, weil sie manchmal ein Verfahren bezeichnet, das der Mehrheitsregel folgt, und manchmal ein utilitaristisch oder aggregativ verstandenes Ergebnis.
 3 ) Es gibt keinen Grund anzunehmen, daß ein dem Mehrheitsprinzip entsprechendes Wahlverfahren auch nur im Normalfall ein Ergebnis produzieren wird, das gemäß einem aggregativen Maßstab als gerecht zu bezeichnen wäre. Ganz im Gegenteil: Ein majoritäres Verfahren kann sehr wohl
649 zu Gesetzen führen, die das wie auch immer verstandene Wohlergehen insgesamt oder im Durchschnitt einschränken, und wird das oft tatsächlich tun. Aus diesem Grund halten es die Befürworter der majoritären Konzeption der Demokratie für wichtig, zwischen Demokratie und Gerechtigkeit zu unterscheiden. Es ist durchaus denkbar, daß ein autokratischer Herrscher eine gerechtere Verteilung der Ressourcen vorschreibt, als eine Mehrheit der Bürger zu tragen bereit wäre.
    In der partnerschaftlichen Konzeption der Demokratie kommt eine andere Sichtweise zum Ausdruck: Ihr zufolge bedeutet »Selbstregierung« nicht Regierung der Mehrheit des Volkes, die den einzelnen Bürgern gegenüber ihre Autorität ausübt, sondern Regierung durch das Volk als Ganzes verstanden als Gemeinschaft von Partnern. Dabei handelt es sich unweigerlich um eine Partnerschaft, innerhalb derer man sich hinsichtlich politischer Fragen uneins ist, da Einstimmigkeit in politischen Gemeinschaften jedweder Größe sehr selten ist. Wenn aber die Mitglieder der Überzeugung sind, daß sie im Bereich der Politik alle einander mit gleicher Berücksichtigung und Achtung begegnen sollten, kann man trotzdem von einer Partnerschaft sprechen. Eine solche liegt, mit anderen Worten, vor, wenn jeder die Bedingungen der Legitimität achtet, die im 14. und 15. Kapitel diskutiert wurden – wenn jeder also eine beständige Verpflichtung akzeptiert, nicht nur den Gesetzen der Gemeinschaft zu gehorchen, sondern deren Recht möglichst mit der eigenen

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