Gerechtigkeit fuer Igel
verleiht. Wenn der Stimme irgendeines Bürgers weniger Wirkung zukommt, weil er gar nicht zur Wahl berechtigt ist, weil anderen mehr Stimmen zur Verfügung gestellt werden oder weil der Zuschnitt der Wahlbezirke die Anzahl der Repräsentanten pro Wähler verringert, dann folgt aus diesem Unterschied, daß er nicht den gleichen politischen Status genießt, insofern es keine dem widersprechende Rechtfertigung dafür gibt. Wenn per Gesetz nur Aristokraten, Priester, Männer, Christen, Weiße, Eigentümer oder Hoch
661 schulabsolventen zur Wahl zugelassen würden, müßten wir daraus schließen, daß nicht uneingeschränkt alle berücksichtigt und geachtet werden. Wenn unter diesen Umständen eine Frau das Wahlrecht einfordert, kann man dem nicht entgegenhalten, daß die Stimme einer einzigen Person für sie schließlich ohne jeden Nutzen sei. Darauf könnte sie entgegnen, daß die Zuerkennung des Wahlrechts für alle Frauen vermutlich sehr wohl zu einer Gesetzgebung führen würde, die ihre Lage etwa durch Änderungen des Eherechts und des Vertragsrechts verbessern würde. Aber selbst wenn sie kein Interesse an solchen Veränderungen hätte, würde sie wahrscheinlich nichtsdestotrotz bei ihrer Forderung bleiben, weil es ihr um ihre Würde zu tun wäre und nicht einfach um die Macht der gleichen Teilnahme.
An dieser Stelle müssen wir uns allerdings klarmachen, daß manche Wahlsysteme zu ungleicher politischer Wirkung führen, ohne daß damit irgendeine Form der Mißachtung oder eine Würdeverletzung zum Ausdruck gebracht werden würde. Vor dem Hintergrund der traurigen US -amerikanischen Geschichte rassistischer Ungerechtigkeit und der Folgen, die diese bis heute zeitigt, ist durchaus denkbar, daß besondere Maßnahmen zur Erhöhung der Anzahl schwarzer Repräsentanten für die politische Gemeinschaft als Ganze erhebliche Vorteile mit sich bringen würden. Vielleicht würde eine solche Veränderung dazu beitragen, Vorurteile abzubauen, die zu Spannungen zwischen ethnischen Gruppen führen und die Ambitionen schwarzer Bürger unterminieren.
13 Natürlich wäre es nicht zu rechtfertigen, manchen weißen Bürgern das Wahlrecht abzuerkennen, weil das Wahlrecht ein so emblematisches Zeichen für gleiche Bürgerschaft ist, daß es eine nicht rechtfertigbare Mißachtung darstellen würde, es einer Gruppe von Bürgern abzuerkennen. Nehmen wir aber an, daß sich das Ziel durch eine Neuzuschneidung der Wahlbezirke erreichen ließe, mit der die Wahrscheinlichkeit erhöht würde, daß schwarze Repräsentanten gewählt werden. Und daß die effizienteste
662 Umsetzung dieser Maßnahme zu einer gewissen Ungleichverteilung der Anzahl der Wähler in den verschiedenen Bezirken führen würde, so daß in einem Bezirk weniger Stimmen nötig wären, um als Repräsentant gewählt zu werden. Das könnte zur Folge haben, daß die politische Wirkung der Wählerschaft in primär weißen Wahlbezirken oder in primär schwarzen Bezirken in unendlich kleinem Maße geschmälert würde oder daß es beide Gruppen gleichermaßen trifft. Ein zweitklassiger oder eingeschränkter Bürgerstatus würde dadurch jedenfalls nicht etabliert. Unter solchen Umständen wäre es albern, darauf zu bestehen, daß wir die größtmögliche Gleichheit der politischen Wirkung für an sich wichtig halten sollten.
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Lassen Sie mich die bisherigen Überlegungen resümieren. Das Ideal der politischen Gleichheit verlangt von uns, die politische Macht so zu verteilen, daß dies die gleiche Berücksichtigung und Achtung aller Mitglieder der politischen Gemeinschaft zum Ausdruck bringt. Sie über die Herkunft, als Kriegsbeute oder im Rahmen einer Art Eliten-Aristokratie auf eine bestimmte Person oder Gruppe zu beschränken oder irgendeinem Bürger die Insignien der Bürgerschaft vorzuenthalten, ist nicht zu rechtfertigen (oder vielleicht nur über den Verweis auf Verbrechen oder andere gegen die Gemeinschaft gerichtete Handlungen). Eine arithmetische Gleichheit des politischen Einflusses ist hingegen weder möglich noch wünschenswert, und die arithmetische Gleichheit der Wirkung ist nur insofern von Bedeutung, als jede Abweichung von ihr einen Akt der Mißachtung darstellt. Aus diesem Grund kommt der arithmetischen Gleichheit der majoritären Konzeption der Demokratie an sich keinerlei Wert zu. Das Mehrheitsvotum ist kein intrinsisch faires Entscheidungsverfahren, und der Bereich der Politik ist auch nicht so verfaßt, daß ein solches Verfahren dort intrinsisch fair wäre.
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