Gerechtigkeit fuer Igel
oder Gruppe nicht mit der gebührenden Achtung begegnet wird. Wenn man eine solche Entscheidung als partiellen Entzug des Wahlrechts verstehen will, dann entzieht sie allen nicht ins Parlament gewählten Gruppen und Personen das Wahlrecht gleichermaßen. Unter solchen Umständen kommt es auf die zweite Bedingung an, und daher sollten wir uns nun aus dieser Perspektive der Institution der repräsentativen Regierung als Ganzer zuwenden.
Der majoritären Konzeption zufolge ist die repräsentative Regierung ein notwendiges Übel. Sie ist offensichtlich notwendig, weil eine Regierung nicht einfach aus einer riesigen Volksversammlung bestehen kann, nicht einmal im Internet. Aber für das Ziel der gleichen Wirkung stellt sie eine erhebliche Gefahr dar, weil sie einigen Repräsentanten des Staates eine ungleich größere Wirkung verschafft als gewöhnlichen Bürgern. Wie ich bereits bemerkt habe, gehen manche davon aus, daß man hier im Rahmen der majoritäre Konzeption gegensteuern kann, indem Verfahren des Anreizes und der Drohung etabliert werden – etwa eine freie Presse und die Hürde regelmäßiger Wahlen für Amtsinhaber –, die es wahrscheinlicher machen, daß Präsidenten und Parlamentsmitglieder sich bei ihren Entscheidungen nach dem richten, was sie für den Willen der Mehrheit halten. Wenn diese Strategie aufgeht, ist die Gleichheit der Wirkung tatsächlich wiederhergestellt: Die Repräsentanten fungieren so gesehen gewissermaßen als Leitungen, durch welche die Mehrheit ihren Willen in Gesetze und politische Maßnahmen übersetzen kann. Leider wird und kann diese Strategie in Wirklichkeit aber nicht besonders gut funktionieren, wofür es gute und auch schlechte Gründe gibt. Wir wollen unsere Repräsentanten nicht davon abhalten, im Geiste
666 Burkes ihrem eigenen Gewissen und ihren eigenen Überzeugungen zu folgen, statt einfach ihrer Vorstellung des Wählerwillens zu entsprechen. Gesetzlich vorzuschreiben, daß bestimmte Regierungsvertreter insgesamt nur eine begrenzte Zeit im Amt bleiben dürfen, soll zum Beispiel bewirken, daß jene Repräsentanten, weil das Ende ihrer Amtszeit bereits feststeht, eine gewisse Unabhängigkeit haben. Leider haben Amtsinhaber häufig eher fragwürdige Gründe dafür, den Willen der Öffentlichkeit zu mißachten. Sie müssen die finanziellen Unterstützer ihres Wahlkampfes zufriedenstellen, die oft ganz andere Interessen als die Öffentlichkeit haben.
Die Verteidigung der repräsentativen Regierung durch die majoritäre Konzeption erweist sich daher als ziemlich schwach. Sie kann dem Argument, daß wichtige Prinzipienfragen großen Volksentscheiden statt dem gewöhnlichen politischen Prozeß vorbehalten bleiben sollten, wenig entgegensetzen. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union werden auch in Zukunft mit der Frage konfrontiert werden, ob ihre Bürger direkt über eine neue Unionsverfassung abstimmen sollen oder ob die einzelstaatlichen Parlamente autorisiert sind, diese Änderungen in Form eines Vertrags umzusetzen. Wenn wir eine majoritäre Auffassung vertreten, müssen wir uns hier für Volksentscheide aussprechen, weil derart dramatische Fragen nicht so oft auftreten, daß die Effizienz der Regierung dadurch beeinträchtigt wäre, sie von der Öffentlichkeit als Ganzer entscheiden zu lassen.
Wenn wir aber von einer partnerschaftlichen Demokratiekonzeption ausgehen, steht uns eine ganz andere – und erfolgreichere – Rechtfertigung der repräsentativen Regierung zur Verfügung. Weil gewählten Repräsentanten besondere Macht zu geben die politische Wirkung aller Bürger und nicht einer bestimmten Gruppe unter ihnen verringert, muß diese Institution nicht unbedingt mit einem Demokratiedefizit einhergehen. Weil es durchaus plausibel ist, daß gewählte Repräsentanten besser als Volksversammlungen dazu in der Lage sind,
667 individuelle Rechte vor den gefährlichen Schwankungen der öffentlichen Meinung zu schützen, kann es keine allgemeine Forderung der Demokratie sein, daß Fragen von grundlegender Bedeutung in Referenden entschieden werden müssen. Damit sind beide Bedingungen, die im Rahmen eines partnerschaftlichen Ansatzes zur Rechtfertigung ungleicher Wirkung erfüllt sein müssen, tatsächlich erfüllt. Im nächsten Schritt müßte man sich dann den Details des Wahlrechts – Termine, Bezirke, Wahlsystem – sowie der Verteilung der Macht unter den Repräsentanten des Staates zuwenden, um zu beurteilen, ob sie auf vernünftige Weise dem gerecht
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