Gerechtigkeit fuer Igel
werden, was von ihnen gefordert ist, nämlich die demokratische Legitimität der Gemeinschaft zu wahren. Für diese Überprüfung kann es keinen Algorithmus geben und die Debatten über Amtszeiten, proportionale Repräsentation und die Angemessenheit von Volksentscheiden können nie wirklich zum Abschluß gebracht werden. Weder unter den Bürgern noch den Politikern wird je vollkommene Einigkeit darüber herrschen, welche dieser Strukturen und Regelungen die Wahrscheinlichkeit erhöhen, daß die Gemeinschaft jedem individuell mit gleicher Berücksichtigung und Achtung begegnet. Genau das ist aber der Test, den die partnerschaftliche Konzeption anstelle der kruden Mathematik der Mehrheitsregel anzubieten hat.
Wenn wir diesen Test tatsächlich anwenden, kommen wir leider zu peinlichen Ergebnissen. Das Verfassungssystem fast aller Staaten gleicht einer zerklüfteten Landschaft historischer Kompromisse, Ideale und Vorurteile. Es gibt sicher Ungleichheiten, die heute keinen Zweck mehr erfüllen, ohne daß behauptet werden kann, daß sie von einem Mangel an Respekt gegenüber einer bestimmten Gruppe oder einem Individuum zeugen. Hierfür lassen sich in den Vereinigten Staaten zahlreiche Beispiele finden. Die Wahl des Präsidenten durch das sogenannte Wahlmännerkollegium statt durch die allgemeine Bevölkerung sowie die Zusammensetzung des Senats, in dem dünnbesiedelte und bevölkerungsreiche Staaten gleicherma
668 ßen durch zwei Senatoren repräsentiert werden, führen dazu, daß bestimmte Bürger mit ihrer Stimme eine größere politische Wirkung erzielen können als andere. Diese Ungleichheiten lassen sich am besten als Ergebnis politischer Kompromisse erklären, die vor langer Zeit notwendig waren, um die Einheit der Nation zu ermöglichen. Zudem hatten sie einst zumindest eine Scheinrechtfertigung, da sie für einen guten Weg gehalten wurden, die Macht der reicheren Gegenden des jungen Staates einzuschränken, um die Interessen bestimmter Minderheiten zu schützen. Heutzutage lassen sich diese Ungleichheiten so allerdings nicht mehr rechtfertigen – tatsächlich sind sie in verschiedener Hinsicht schädlich für die Politik. Ihre Aufrechterhaltung hat aber wahrscheinlich mehr mit ihrer festen Verwurzelung und der Trägheit des Systems zu tun als mit irgendeiner Anspruchshaltung oder einem Mangel an Respekt. Muß man im Rahmen des partnerschaftlichen Ansatzes dennoch die weitestmögliche Abschaffung dieser Ungleichheiten fordern?
Das ließe sich nur über eine verfassungsrechtliche Neuregelung realisieren, durch die einige Bundesstaaten entweder völlig verschwinden würden oder ihre gegenwärtig bestehenden enormen Vorteile freiwillig aufgeben müßten.
16 Weil es aber doch möglich ist, müssen wir uns jener prinzipiellen Frage stellen, auf die vor dem Hintergrund einer partnerschaftlichen Konzeption nur geantwortet werden kann: Ja, es bedarf einer verfassungsrechtlichen Neuregelung. Das ist keine rein akademische Frage. Ich habe bereits betont, daß es für jeden einzelnen Bürger kaum einen praktischen Unterschied macht, ob seine eigene politische Wirkung unwesentlich kleiner oder größer als die der anderen ist. Aus diesem Grund handelt es sich bei der arithmetischen Strenge der majoritären Konzeption um einen Fetisch. Institutionelle Strukturen wie die Zusammensetzung des Senats oder die Mechanismen der Wahl des Präsidenten können aber insgesamt beträchtliche praktische Konsequenzen haben.
Den Präsidenten durch ein Kollegium anstatt in direkter
669 Stimmabgabe bestimmen zu lassen, verzerrt die Präsidentschaftswahl: Kandidaten richten ihre Aufmerksamkeit auf die sogenannten swing states , also die zwischen den Parteien umkämpften Bundesstaaten, und formulieren demgemäß ihre politischen Programme, während andere Staaten weitgehend vernachlässigt werden. Die Zusammensetzung des Senats wirkt sich für die städtischen Ballungszentren nachteilig aus. Eine Gesetzgebung in ihrem Interesse wäre wahrscheinlicher, wenn die Senatoren wie die Kongreßabgeordneten den Bundesstaaten entsprechend ihrer Bevölkerungsgröße zugewiesen werden würden. Wenn das Wahlmännerkollegium oder die gegenwärtig ungleiche Repräsentation im Senat in irgendeiner Weise der Förderung der gleichen Berücksichtigung aller dienen würden, wie es einst in beiden Fällen angenommen wurde, dann wäre diese Benachteiligung nur eine Nebenfolge einer gerechtfertigten Regelung und müßte daher hingenommen werden. Weil diese
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