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Gerechtigkeit fuer Igel

Gerechtigkeit fuer Igel

Titel: Gerechtigkeit fuer Igel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Dworkin
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fiktive Meinungsverschiedenheit veranschaulichen:
     
    Person A: »Abtreibung ist moralisch verwerflich. Wir haben immer einen kategorischen Grund – also einen Grund, der nicht von den Gedanken und Wünschen der Menschen abhängt –, Abtreibungen zu verhindern und zu verurteilen.«
    79  Person B: »Im Gegenteil. Unter bestimmten Umständen ist eine Abtreibung moralisch geboten. Alleinstehende schwangere Jugendliche ohne Zugang zu den erforderlichen Ressourcen haben einen kategorischen Grund, diese Schwangerschaft zu beenden.«
     Person C: »Ihr irrt euch beide. Abtreibungen sind nie moralisch verboten oder geboten. Niemand hat einen kategorischen Grund, sich in diesem Zusammenhang auf die eine oder auf die andere Weise zu entscheiden. Abtreibungen sind immer erlaubt und nie geboten, so wie etwa das Schneiden von Fingernägeln.«
     Person D: »Ihr habt alle drei unrecht. Abtreibungen sind nie moralisch verboten, geboten oder erlaubt.«
     
    A, B und C vertreten eine moralische Position. Wie steht es mit D? Weil unklar ist, was diese Person mit ihrer etwas rätselhaften Äußerung meint, bitten wir sie, sich näher zu erklären.
    Vielleicht sagt sie nun etwas in der folgenden Art: »Jede Aussage, die die Existenz von etwas behauptet, das es nicht gibt, ist falsch. Manchmal scheint mir eine solche Aussage auch weder wahr noch falsch zu sein. A, B und C gehen alle davon aus, daß moralische Pflichten existieren. Das ist aber tatsächlich nicht der Fall, und darum macht keiner von ihnen eine wahre Aussage.« Diese Sichtweise ist auf die bereits angesprochenen Moronen zurückzuführen oder, genauer gesagt, auf ihre Nichtexistenz. Wenn es Moronen gibt, die moralische Aussagen wahr- oder falschmachen, können wir uns vorstellen, daß sie vielleicht wie Quarks bestimmte Farben haben. Eine Handlung ist nur dann verboten, wenn rote Moronen vorliegen; sie ist geboten, wo grüne zu beobachten sind, und erlaubt im Fall von gelben. D erklärt also, daß Abtreibungen weder verboten noch geboten, noch erlaubt sind, weil es überhaupt keine Moronen gibt. Dies sei selbst keine moralische Aussage, sondern eine physikalische oder metaphysische Tatsache. Hier haben wir es mit einem eklatanten Mißverständnis der Gesprächssituation zu tun. A, B und C haben jeweils eine Aussage darüber gemacht, welche kategorischen Gründe Menschen haben oder auch nicht haben. Die Aussage von D, daß keine moralischen Pflichten
80 existieren, bedeutet, daß niemand je einen solchen Grund hat. Auch sie bringt somit notgedrungen eine moralische Position zum Ausdruck: Sie stimmt C zu und kann nicht behaupten, daß Cs These falsch ist (oder weder wahr noch falsch), ohne sich selbst zu widersprechen.
    Person D könnte nun einwenden: »A, B und C berufen sich allesamt auf die Existenz von Moronen, um ihre Behauptungen zu stützen.« Hier hat sie aber unrecht. Selbst wenn Person A der Ansicht ist, daß Moronen existieren, würde sie weder ihre Existenz noch zum Beispiel ihre Farbe als Argument für ihre Position anführen. Ihre tatsächlichen Argumente sind von vollkommen anderer Art: etwa, daß Abtreibungen nicht mit der Menschenwürde vereinbar sind. Selbst wenn wir bereit wären, D entgegenzukommen und großzügig anzunehmen, daß A, B und C etwas seltsam sind und zur Rechtfertigung ihrer Position auf Moronen verweisen, würde das D nicht helfen. Entscheidend ist nicht, welche Argumente von den drei vorgebracht werden, sondern was sie aus diesen für Schlüsse ziehen. Lassen Sie mich den Punkt noch einmal wiederholen: Alle drei machen Aussagen über die kategorischen Gründe, die für oder gegen Abtreibungen sprechen. Jedes Argument, das D anführen kann, wie immer es auch beschaffen sein mag, läuft letztendlich auf eine Aussage genau diesen Typs hinaus, nämlich daß es keine derartigen Gründe gibt. D widerspricht damit A und B und stimmt C zu. Ihre Aussage ist zwar viel allgemeiner als die Stellungnahme von C, schließt diese aber mit ein. D vertritt eine bestimmte Position zu einer moralischen Frage, also eine substantielle moralische Einstellung erster Ordnung.
    Vielleicht versucht D nun ihre bisherigen Äußerungen richtigzustellen: »Ich hätte nicht behaupten sollen, daß die Aussagen von A, B und C falsch oder weder wahr noch falsch sind. Besser wäre es gewesen zu sagen, daß sie überhaupt keinen Sinn ergeben, denn ich verstehe einfach nicht, was sie meinen, wenn sie die Existenz kategorischer Gründe verteidigen oder leugnen. Mir

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