Gerechtigkeit fuer Igel
scheint das alles unverständliches Gebrabbel zu sein.«
81 Wir behaupten oft, daß etwas keinen Sinn ergibt, wenn wir eigentlich nur meinen, daß die betreffende Aussage dumm oder offensichtlich falsch ist. Wenn es das ist, was D meint, dann hat sie ihre Position nicht geändert, sondern nur etwas emphatischer ausgedrückt. Was könnte sie anderes im Sinn haben? Vielleicht will sie sagen, daß die anderen sich ihres Erachtens selbst widersprechen und etwas Unmögliches behaupten, als würden sie behaupten, einen quadratischen Kreis auf einer Parkbank liegen zu sehen. Dann hätte sich die Argumentation von D zwar geändert, sie käme aber nach wie vor zu demselben Ergebnis. Wenn D kategorische Gründe für unmöglich hält, ist sie nach wie vor der Ansicht, daß niemand je einen kategorischen Grund für irgend etwas hat, und das ist eine moralische Position. Lassen Sie uns noch eine weitere Möglichkeit in Betracht ziehen. Vielleicht meint D, daß sie die Äußerungen der anderen buchstäblich schlicht nicht versteht. Sie gibt zu, daß hier allem Anschein nach ein Begriff verwendet wird, über den sie nicht verfügt, und daß sie nicht in der Lage ist, die Äußerungen in eine ihr verständliche Sprache zu übersetzen. Das ist natürlich vollkommen unglaubwürdig. D weiß ganz genau, was A, B und C über unsere moralischen Verantwortlichkeiten sagen wollen. Wenn sie trotzdem darauf besteht, die Sätze einfach nicht zu verstehen, ist das kein Skeptizismus mehr. In bezug auf Aussagen in einer mir unverständlichen Sprache kann ich keinen Skeptizismus vertreten.
Es scheint klar, worauf all dies hinausläuft. Wenn man eine Behauptung über unsere moralischen Verantwortlichkeiten aufstellt, dann erklärt man damit, wie es sich moralisch gesehen verhält. Wir kommen nicht daran vorbei, daß die Sphäre der Werte unabhängig ist. Nehmen wir nun aber an, daß D ihre Position ganz anders erläutert: »Ich meine nur, daß in der Abtreibungsdebatte von beiden Seiten gleichermaßen überzeugende Argumente angeführt werden; und deshalb gibt es keine richtige Antwort auf die Frage, ob Abtreibungen verboten, gefordert oder erlaubt sein sollten. Eine Entscheidung zwischen
82 diesen Positionen würde voraussetzen, daß die Argumente für eine von ihnen stärker sind als die für die anderen, und das ist falsch.« Im fünften Kapitel werde ich genauer ausführen, daß es nicht dasselbe ist, sich über die richtige Antwort auf eine bestimmte Frage unsicher zu sein, und zu glauben, daß es die eine richtige Antwort nicht gibt – also Unbestimmtheit zu behaupten. D muß bei diesem letzten Versuch, ihre Äußerung zu erklären, Unbestimmtheit im Sinn haben, da sie alle Positionen außer der ihren als falsch bezeichnet und nicht nur als unüberzeugend. Damit handelt es sich bei ihrer Stellungnahme offensichtlich um eine substantielle moralische Aussage. So verstanden widerspricht sie letzten Endes C zwar ebenso wie A und B, aber nur, weil sie eine vierte alternative moralische Position vertritt. Sie wägt die Überzeugungskraft der drei moralischen Positionen ab und kommt zu dem Schluß, daß keine stärker ist als die anderen. Das ist zwar tatsächlich eine Form von Skeptizismus, aber es handelt sich um eine interne Variante.
Das Hume'sche Prinzip
Wenn ich recht damit habe, daß es sich beim moralischen Skeptizismus um eine substantielle moralische Position handelt, dann ist der externe moralische Skeptizismus in der von mir aufgezeigten Weise selbstwidersprüchlich. Er verletzt zudem jenes Prinzip der Moralepistemologie, das ich als das Hume'sche Prinzip eingeführt habe. Diesem Prinzip zufolge können Aussagen darüber, wie die Welt beschaffen ist – also wissenschaftliche oder metaphysische Aussagen über Tatsachen –, nie hinreichend dafür sein, ein Urteil über das, was der Fall sein sollte, zu rechtfertigen, wenn nicht irgendeine Form von Werturteil zwischen den Zeilen versteckt ist. Das scheint mir offensichtlich wahr zu sein. Lassen Sie mich ein Beispiel für einen Verstoß gegen dieses Prinzip anführen: »Jakob hat heftige Schmerzen, und Sie können ihm ohne große Anstrengungen helfen. Ein
83 fach aufgrund dieser Tatsache haben Sie eine moralische Verpflichtung, ihm zu helfen.« Wenn es sich bei dieser Aussage, so wie sie hier geschrieben steht, um eine gute Argumentation handelt, muß sie irgendein Prinzip erfüllen, das bestimmt, wie eine solche Argumentation beschaffen ist. Welches Prinzip könnte das sein? Weder
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