Gerechtigkeit fuer Igel
deskriptiven Aussagen über die Moral. Wenn gefragt wird, wie die Moral zu erklären ist, kann das auch eine Forderung nach einer so verstandenen faktischen Erklärung sein, auf die man zum Beispiel mit einer neodarwinistischen Schilderung der Ausbreitung bestimmter Verhaltensweisen unter Menschenaffen oder bei den ersten Menschen antworten könnte. Andererseits kann es sich aber auch um eine Aufforderung zur Rechtfertigung moralischer Praktiken und Institutionen handeln. Wenn jemand zum Beispiel wütend fragt: »Kannst du erklären, warum du dich so verhalten hast?«, dann geht es um Rechtfertigung.
Fehlerskeptizismus
Wenn es sich auch beim externen Skeptizismus um eine moralische Position handelt, widerlegt er sich selbst. Der externe Fehlerskeptizismus scheint in dieser Hinsicht besonders verwundbar zu sein, weil ihm zufolge alle moralischen Aussagen falsch sind. Die Vertreter dieses Ansatzes könnten sich natürlich darauf zurückziehen, nur positive moralische Urteile für falsch zu erklären. Darunter könnten sie all jene Urteile fassen, die uns in unserem Verhalten und unserer Zustimmung anleiten,
86 wozu auch Urteile gehören, die besagen, daß eine bestimmte Handlung moralisch geboten oder verboten ist, daß eine Situation oder eine Person moralisch gut oder schlecht ist oder daß jemand über eine bestimmte Tugend verfügt oder einem Laster anhängt. Die Alternativen zu diesen Ansichten könnten sie dann als negative moralische Urteile bezeichnen – etwa daß eine Situation weder gut noch schlecht, sondern moralisch neutral ist, oder daß man eine Person hinsichtlich eines bestimmten Charakterzugs weder loben noch tadeln sollte. Wie bereits ausgeführt, handelt es sich dabei aber ebenfalls um moralische Urteile – genauso wie die Aussage, daß Wein zu trinken weder gesetzlich verboten noch gefordert ist, eine rechtliche Stellungnahme darstellt. Eine derart modifizierte Version des Fehlerskeptizismus würde daher auf einen globalen internen Skeptizismus hinauslaufen. Sie hätte letztlich denselben Inhalt wie zum Beispiel die Auffassung, daß nur ein göttliches Wesen moralische Pflichten kreieren könnte, daß aber kein solches Wesen existiert. Auch ein Vertreter des Fehlerskeptizismus könnte parallel zu dieser Argumentation behaupten, daß nur bestimmte absonderliche Entitäten moralische Pflichten kreieren könnten, daß es diese Entitäten aber nicht gibt. Auf diese merkwürdige Argumentation werde ich im nächsten Kapitel eingehen. Zunächst will ich hier aber zwei weitere, wohlvertraute Strategien diskutieren, die jedoch Argumente für einen internen, nicht für einen externen Skeptizismus darstellen.
Vielfalt
John Mackie, der bekannteste Vertreter des Fehlerskeptizismus aus der jüngeren Vergangenheit, ist der Ansicht, daß positive moralische Aussagen falsch sein müssen, weil Menschen sich nicht darüber einigen können, welche von ihnen als wahr zu gelten haben.
7 Soziologisch gesehen hat er damit weitgehend recht, aber manchmal wird das tatsächliche Ausmaß der Viel
87 fältigkeit moralischer Ansichten auch übertrieben. Historisch betrachtet ist der Grad an Konvergenz in fundamentalen moralischen Fragen wenig überraschend und sehr auffällig. Trotzdem gibt es nach wie vor auch innerhalb einzelner Kulturen bei sehr wichtigen Themen Meinungsverschiedenheiten, etwa in Fragen der sogenannten positiven Diskriminierung, der Legalität von Abtreibungen und der sozialen Gerechtigkeit. Können wir daraus schließen, daß wir eigentlich überhaupt keine moralischen Pflichten oder Verantwortlichkeiten haben?
Natürlich sollte es uns zu denken geben, wenn andere einer Sichtweise widersprechen, die uns offensichtlich richtig erscheint. Kann ich wirklich sicher sein, daß ich recht habe, wenn andere, allem Anschein nach gleichermaßen intelligente und feinfühlige Menschen mir widersprechen? Daß nicht alle zustimmen, kann jedoch nicht als Argument dafür angeführt werden, daß unsere moralischen Überzeugungen falsch sind. In anderen Zusammenhängen würden wir die Popularität unserer Überzeugungen auch nicht als Beweis für ihren Wahrheitsgehalt gelten lassen. Daß fast alle Menschen Lügen manchmal für erlaubt halten, ist keineswegs ein Grund zu denken, daß das auch stimmt. Warum sollten wir dann im Fall anderer Auffassungen Uneinigkeit als einen Gegenbeweis gelten lassen? Mackie und andere Skeptiker haben nur eine Antwort auf diese recht naheliegende Frage. Ihres Erachtens zeigt die
Weitere Kostenlose Bücher