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Gerechtigkeit fuer Igel

Gerechtigkeit fuer Igel

Titel: Gerechtigkeit fuer Igel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Dworkin
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unsere moralischen Ansichten gehören. Dieses interpretative Ziel gibt uns vor, wie eine angemessene Begründung beschaffen sein sollte und welche Verantwortung wir in diesem Zusammenhang haben. Es garantiert aber nicht, daß die Argumente, die wir auf dieser Basis ausarbeiten, angemessen sind oder, anders ausgedrückt, es garantiert nicht, daß unsere moralischen Urteile wahr sind. Wenn wir unsere Gründe aber nach reiflicher Überlegung für adäquat halten, haben wir uns das Recht erworben, ihnen entsprechend zu leben. Was hindert uns dann noch daran zu erklären, daß wir sie mit Gewißheit für wahr halten? Nur die auf zahlreiche Erfahrungen zurückgehende Vermutung, daß im
74 mer noch bessere interpretative Argumente gefunden werden könnten. Wir müssen diesen Abstand zwischen Verantwortung und Wahrheit ernst nehmen und respektieren. Erklären können wir ihn aber nur, indem wir ein weiteres Mal auf die Idee eines guten oder besseren Arguments verweisen. Um die Unabhängigkeit der Moral kommen wir nicht herum, so sehr wir uns auch bemühen. Jeder Versuch, uns durch eine Hintertür aus der Sphäre der Moral herauszuschleichen, beweist nur, daß wir die Moral noch nicht verstanden haben.

75 Kapitel 3
Externer Skeptizismus
    Eine wichtige These
    Im vorangehenden Kapitel habe ich versucht zu zeigen, daß der moralische Skeptizismus selbst eine substantielle moralische Position ist. Das ist eine starke These, die von vielen heftig kritisiert worden ist und sicher auch zukünftig kontrovers bleiben wird. Wenn ich recht habe, würde das bedeuten, daß der externe Skeptizismus sich selbst widerlegt. Ich habe zwischen zwei Varianten dieses Ansatzes unterschieden, dem Fehlerskeptizismus und dem Statusskeptizismus. Vertreter der ersten Variante halten alle moralischen Urteile für objektiv falsch, Vertreter der zweiten hingegen behaupten, daß sie Wahrheit nicht einmal beanspruchen. Wenn diese skeptischen Annahmen aber selbst moralischer Natur sind, würden beide Ansätze sich selbst widerlegen, denn ohne Zweifel müssen sie zumindest für ihre jeweilige Grundthese einen Wahrheitsanspruch erheben. Mein Vorschlag ist daher sowohl abstrakt verstanden als auch in der Form, wie ich ihn in diesem Teil des Buches verteidigen werde, von einer enormen philosophischen Tragweite und geht selbst den meisten Theoretikern, die moralische Urteile für wahrheitsfähig halten, zu weit.
 1 Aus diesem Grund scheint es geraten, ihn möglichst vorsichtig und präzise zu erläutern und zu verteidigen.
    Vielleicht erscheint Ihnen meine These, daß die kategorische Ablehnung der Existenz moralischer Eigenschaften selbst eine moralische Stellungnahme ist, als zu simpel. Lassen Sie mich meinen Punkt mit einer Analogie verdeutlichen: Die Aussage, daß Astrologie Unsinn ist, ist ebensowenig eine astrologische Behauptung, wie es sich beim Atheismus um eine religiöse Über
76 zeugung handelt. Ob das so stimmt, hängt aber von unserem Verständnis dieser Worte ab. Wenn wir »astrologische Behauptung« als eine Aussage begreifen, die stipuliert oder voraussetzt, daß bestimmte Planeten Einfluß auf unser tägliches Leben haben, dann fällt die Behauptung, daß Astrologie Unsinn ist, nicht in diesen Bereich, weil sie einen solchen Einfluß ja leugnet. Wenn wir aber mit jener Formulierung alle Aussagen meinen, die die Beschaffenheit und die Reichweite eines planetarischen Einflusses auf unser Dasein betreffen, dann gehört dazu auch die Aussage, daß ein solcher Einfluß schlicht nicht vorliegt. Wenn wir sagen, daß religiöse Überzeugungen das Vorhandensein von einem oder mehreren göttlichen Wesen voraussetzen, dann schließt das atheistische Sichtweisen aus. Wenn wir aber sagen, daß jede Stellungnahme zur Frage der Existenz oder der Eigenschaften göttlicher Wesen per definitionem religiös ist, müßte man auch atheistische Aussagen darunter fassen.
    Kosmologie ist ein Teilbereich der Wissenschaft insgesamt, und wir können uns damit befassen, was in diesem Bereich wahr oder falsch ist. Anders ausgedrückt, wir können fragen, welche kosmologischen Annahmen richtig sind und welche falsch. Eine skeptische Haltung zur Astrologie oder zu Gott kann durchaus als Antwort auf diese Frage gelten, weil damit etwas darüber ausgesagt wird, was für Kräfte es in unserem Universum gibt. Es wäre merkwürdig zu sagen: »Weil wir Atheisten sind, halten wir kosmologische Aussagen prinzipiell nicht für wahr.« Tatsache ist vielmehr, daß von Atheisten

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