Gerechtigkeit fuer Igel
nicht für ein Recht auf Freiheit in der allgemeineren Bedeutung ein, sondern plädiere vielmehr für bestimmte Freiheitsrechte, die auf unterschiedlichen Grundlagen beruhen. Aus dem Prinzip der Verantwortung folgt, daß Menschen ein Recht darauf haben, eigenständige ethische Entscheidungen zu treffen; und aus dieser Verantwortung sowie dem sich aus ihr ergebenden allgemeinen Recht auf Selbstbestimmung folgen weitere Rechte – unter anderem das auf freie Meinungsäußerung. Außerdem haben Menschen Rechte, wie etwa das Recht auf Rechtssicherheit und Eigentumsrechte, die sich aus ihrem Anspruch auf gleiche Berücksichtigung ergeben.
Wenn man Freiheit auf diese Weise versteht, ist ein echter Konflikt mit der zuvor skizzierten Gleichheitskonzeption ausgeschlossen: Da beide Konzeptionen gleichermaßen auf eine
19 Lösung des Problems der mehreren Gleichungen angewiesen sind, sind sie durch und durch miteinander verzahnt. Ohne festzulegen, welche Verteilung von Eigentum und Chancen die gleiche Berücksichtigung aller zum Ausdruck bringen würde, können die Forderungen, die sich aus den Freiheitsrechten ergeben, nicht ausbuchstabiert werden. So gesehen ist die verbreitete Idee, daß Steuern eine Einschränkung der Freiheit sind, völlig falsch, vorausgesetzt, daß die konkreten Abgaben moralisch begründet werden können, so daß die Regierung den Bürgerinnen und Bürgern nichts wegnimmt, worauf sie einen Anspruch haben. Diesem Ansatz zufolge ist die Theorie der Freiheit also in eine viel allgemeinere Auffassung politischer Moral eingebettet und kann auf andere Aspekte jener umfassenderen Theorie zurückgreifen. Und so verschwindet der vermeintliche Konflikt zwischen Freiheit und Gleichheit.
Demokratie . Ein weiterer oft behaupteter Konflikt zwischen unseren politischen Werten ist jener zwischen Gleichheit und Freiheit auf der einen Seite und dem Recht auf gleiche Partizipation an der öffentlichen Herrschaft auf der anderen. In der Politischen Theorie wird im letzteren Fall manchmal von einem Recht auf positive Freiheit gesprochen und angenommen, daß dieses sowohl mit der negativen Freiheit – also den eben skizzierten Rechten auf Freiheit von der Regierung – als auch mit dem Recht auf eine gerechte Ressourcenverteilung in Konflikt geraten könne. Ein solcher Konflikt ergebe sich zum Beispiel, wenn eine Mehrheit für ein ungerechtes Steuersystem oder für die Einschränkung wichtiger Freiheiten stimmt. Dieser Einwand kann meines Erachtens durch eine klare Unterscheidung verschiedener Demokratiekonzeptionen entkräftet werden. Zu diesem Zweck unterscheide ich einen majoritären oder statistischen Demokratiebegriff von einer gewissermaßen partnerschaftlichen Auffassung. Dieser zweiten Konzeption zufolge nimmt in einer wirklich demokratischen Gemeinschaft jeder Bürger als gleicher Partner an dieser Gemeinschaft teil, was mehr als nur das gleiche Wahlrecht einschließt. Es gehört
20 auch dazu, daß alle eine gleiche Stimme und einen gleichen Anteil am Ergebnis haben. So verstanden verlangt die Demokratie selbst den Schutz genau jener individuellen Rechte auf Gerechtigkeit und Freiheit, die sie manchen Denkern zufolge bedroht.
Recht . Noch ein Konflikt wird in der Politischen Philosophie häufig betont: der zwischen Recht und Gerechtigkeit. Nichts garantiert, daß unsere Gesetze auch gerecht sind, und wenn das nicht der Fall ist, kann es vorkommen, daß Amtsinhaber und Bürger gesetzlich dazu verpflichtet sind, den Forderungen der Gerechtigkeit nicht Genüge zu tun. In Kapitel 19 befasse ich mich mit diesem Problem und zeige, inwiefern das Recht als Teil der Moral und nicht als ein mit ihr konkurrierendes und potentiell konfligierendes Regelsystem begriffen werden sollte. Zur Plausibilisierung dieses Vorschlags muß die Bedeutung der prozeduralen Gerechtigkeit, der Moral des fairen Regierens ebenso wie der gerechten Ergebnisse hervorgehoben werden. Die Moral sollte grundsätzlich als baumartige Struktur verstanden werden, wobei das Recht ein Zweig der politischen Moral ist, die selbst vom Ast der allgemeineren persönlichen Moral abgeht, die wiederum aus der noch abstrakteren Theorie der gelungenen Lebensführung herauswächst.
Vielleicht hegen Sie an dieser Stelle bereits einen gewissen Verdacht. Poseidon hatte einen Sohn, Prokrustes, der seine Gäste seinem Bett anpaßte, indem er sie gewaltsam in die Länge zog oder stutzte, bis alles stimmte. Vielleicht halten Sie mich für einen Prokrustes, der
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