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Gerechtigkeit fuer Igel

Gerechtigkeit fuer Igel

Titel: Gerechtigkeit fuer Igel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Dworkin
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Verantwortung verstanden als Tugend. Wir beginnen mit folgendem Aspekt: Verantwortungsbewußte Menschen folgen Prinzipien und lassen diese nicht einfach in manchen Fällen außen vor. Ihr Verhalten bringt ihre Überzeugungen zum Ausdruck und ist stets mit ihnen vereinbar.
 2 Wie ist das zu verstehen? Ich werde hier ein altvertrautes Problem vorerst auf später verschieben – jede Theorie moralischer Verantwortung ist früher oder später mit dem konfrontiert, was in der Philosophie als Problem des freien Willens bezeichnet wird. Wenn jede Entscheidung, die wir treffen, von vorangegangenen Ereignissen vollkommen determiniert
179 ist, über die wir keinerlei Kontrolle haben, wenn eine vollkommene Kenntnis des Zustands der Welt vor der Geburt eines bestimmten Menschen und aller Naturgesetze einen Computer in die Lage versetzen würde, jede Entscheidung vorherzusagen, die dieser Mensch in seinem Leben treffen wird, dann hat es den Anschein, als sei moralische Verantwortung eine Illusion und als sei es sinnlos, zwischen Handlungen aus moralischer Überzeugung und solchen aus anderen Gründen zu unterscheiden. Jeder denkt oder tut nur, was ihm gewissermaßen vorbestimmt ist, und dabei müssen wir es belassen. Ich werde im zehnten Kapitel näher auf dieses Problem eingehen. Reflexive Verantwortung kann auf zwei Weisen näher gefaßt werden: Sie kann vom Standpunkt des Erlebens der Menschen aus gedacht werden, und aus dieser Perspektive geht es um die unausweichliche Tatsache, daß Menschen kontinuierlich neue Entscheidungen treffen müssen oder von einem eher archimedischen wissenschaftlichen Standpunkt aus; im letzteren Fall würden wir das Erleben der Menschen nur als Teil der Datenmenge behandeln, für die wir eine kausale Erklärung finden wollen. Ich werde im zehnten Kapitel versuchen zu zeigen, daß im Zusammenhang mit reflexiver Verantwortung die Innenperspektive angemessen ist, was ich hier einfach voraussetzen werde, um dieses Kapitel nicht zu überladen.
    Moralisch verantwortliches Handeln
    Arten der Verantwortungslosigkeit
    Auf welche Weisen kann man daran scheitern, den eigenen Prinzipien gerecht zu werden? Die offensichtlichste Möglichkeit ist schlichte Unehrlichkeit: Denken Sie etwa an einen mächtigen Politiker, der vorgibt, von Prinzipien geleitet zu werden, die ihn in Wirklichkeit kaltlassen und die er ohne große Bedenken über Bord wirft, sobald sie ihm nicht mehr in den Kram
180 passen; ein solcher Mensch ist schlicht unehrlich. Obwohl er zur Rechtfertigung seiner Handlungen auf bestimmte Prinzipien verweist, handelt es sich dabei nur um ein Lippenbekenntnis. Rationalisierungen sind hingegen komplexer: Ein Mensch, der sie in Anschlag bringt, glaubt, in seinem Verhalten von Prinzipien geleitet zu werden, die in Wirklichkeit kaum Einfluß auf seine Entscheidungen haben. Er könnte zum Beispiel seine auch finanzielle Unterstützung von Politikern, die versprechen, bestimmte wohlfahrtsstaatliche Programme abzuschaffen, mit der Aussage begründen, daß man Verantwortung für sein eigenes Schicksal übernehmen sollte, obwohl sein Verhalten in anderen Kontexten nicht von diesem Gedanken bestimmt wird, etwa wenn er dieselben Politiker später um rettende Subventionen für seine Industrie bittet. In Wirklichkeit ist sein Handeln vom Eigennutz geleitet und nicht von Prinzipien, die verlangen, die Interessen anderer gleichermaßen zu berücksichtigen. Es wäre ein Fehler, aufgrund der Tatsache, daß er sich öffentlich zu bestimmten Werten bekannt hat, Fairneß von ihm zu erwarten, weil er nur dann auf seine angeblichen Prinzipien zurückfällt, wenn ihm daraus Vorteile entstehen.
    Neben der Unehrlichkeit gibt es andere Weisen, der eigenen moralischen Verantwortung nicht nachzukommen. Denken Sie hier etwa an einen Menschen, der sich einem sehr abstrakten moralischen Prinzip verpflichtet fühlt, bei der Anwendung auf konkrete Fälle aber vom Eigennutz oder anderen Einflüssen geleitet ist. So jemand könnte zum Beispiel überzeugt sein, daß ein nicht absolut notwendiger Präventivkrieg immer unmoralisch ist, ohne in ausreichendem Maße für sich ausbuchstabiert zu haben, was »absolut notwendig« in diesem Zusammenhang heißt. Ist diese Bedingung nur dann erfüllt, wenn der Krieg sein Land vor dem Untergang bewahren würde, oder bereits dann, wenn damit eine wirtschaftliche Konkurrenzsituation vermieden würde, die sich negativ auf seine Lebensqualität und die seiner Mitbürger auswirken könnte? Obwohl

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