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Gerechtigkeit fuer Igel

Gerechtigkeit fuer Igel

Titel: Gerechtigkeit fuer Igel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Dworkin
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selbst vage Urteile dieser Art eine Rolle dabei spielen können, ob man
181 etwa eine konkrete Außenpolitik unterstützt, können sie nie den gleichen Einfluß entfalten wie ein Prinzip, das entweder genauer oder auf eine bestimmte Weise mit anderen relevanten Überzeugungen verbunden ist. Aufgrund der Abstraktheit der Prinzipien bleiben viele Fragen offen, so daß oft andere biographische Aspekte wie zum Beispiel die Parteizugehörigkeit mehr mit dem Verhalten dieser Menschen zu tun haben als das bewußte Prinzip.
    Auch ein Zustand, den man als moralische Schizophrenie bezeichnen könnte, führt dazu, daß Menschen ihrer Verantwortung nicht gerecht werden. Sie fühlen sich zwei Prinzipien gleichermaßen verpflichtet und lassen sich letztendlich von demjenigen leiten, das ihnen im entscheidenden Moment in den Sinn kommt, selbst wenn dies ihren eigenen Interessen und längerfristigen Neigungen widerspricht. So könnten Sie zum Beispiel zugleich der Meinung sein, daß Menschen ein Recht darauf haben, all das, was sie an Besitz angehäuft haben, zu behalten, und daß jeder, der es zu einem gewissen Wohlstand gebracht hat, verpflichtet ist, den bedürftigsten seiner Mitbürger zu helfen. In Momenten, in denen Sie nun vor allem die Rechte der wohlhabenden Menschen im Blick haben, sind Sie für Steuersenkungen, sobald Sie aber an die ärmeren Bevölkerungsschichten denken, ändern Sie Ihre Meinung. Das hat ein verantwortungsloses Verhalten zur Folge, weil Sie weder fair noch ausgeglichen handeln, sondern vielmehr willkürlich und launenhaft.
    Obwohl nur sehr wenige Menschen so offensichtlich schizophrene Ansichten vertreten, sind subtilere Widersprüchlichkeiten fast nicht zu vermeiden. Es gibt so viele Themen, zu denen wir eine Meinung haben, wie etwa die Nahostpolitik, die Rechtfertigung von Kriegen, die Frage erlaubter Maßnahmen in Kriegen, Selbstverteidigung im öffentlichen Raum, Abtreibungen, Todesstrafe, faire Gerichtsprozesse, Verhaltensregeln für Polizisten, die Frage, inwiefern und inwieweit wir persönlich für die Konsequenzen unserer Handlungen zur Verantwor
182 tung gezogen werden können, Verteilungsgerechtigkeit, Patriotismus, die Reichweite und Bedeutung unserer Loyalität gegenüber Freunden, Zivilcourage und die Rolle von Reichtum, Bildung, Erfahrungsvielfalt, Familie oder bestimmten Leistungen für ein gutes und erfolgreiches (im Unterschied zu einem schlechten und vergeudeten) Leben. Wir haben hinsichtlich all dieser Fragen bestimmte Überzeugungen, die situativ durchaus authentisch und wirksam sind. Wir lassen uns in Situationen, für die sie jeweils direkt relevant sind, von ihnen leiten, etwa wenn wir uns fragen, ob der Krieg im Irak unmoralisch war, ob bestimmte Steuern angehoben oder gesenkt werden sollten oder ob es eine gute Idee wäre, regelmäßig Skifahren zu gehen. Wenn wir aber einen Schritt zurücktreten, stellen wir fest, daß diese Überzeugungen oft nur lokal kohärent sind und Prinzipien oder Ideale, nach denen wir uns in einem bestimmten Bereich richten, mit anderen Prinzipien oder Idealen, auf die wir uns in anderen Fragen berufen, im Konflikt stehen oder zumindest nicht direkt mit ihnen verknüpft sind.
    Manchmal entstehen solche potentiellen Konflikte aufgrund der Größe von Geltungsbereichen. Wenn ich eine sehr klare Meinung zum Irakkrieg habe, die aber nicht mit meiner Haltung zu anderen militärischen Maßnahmen etwa im Kosovo oder in Bosnien übereinstimmt, ist davon auszugehen, daß jene spezifische Einschätzung in erster Linie meiner Abneigung gegenüber der Bush-Regierung oder meiner Parteizugehörigkeit geschuldet ist. Selbst wenn ich also versuche, in der nächsten Wahl meiner Verantwortung Genüge zu tun, bleibt dies wahrscheinlich recht oberflächlich. Im Rahmen größerer Kategorien lassen sich zudem manchmal subtilere und weniger eindeutige innere Widersprüche ausmachen. Denken Sie etwa an die eben erwähnte besondere Loyalität, die wir Familienmitgliedern und Freunden zu schulden glauben, und an ihre Grenzen. Es ist denkbar, daß wir als Individuen durchaus berechtigt oder sogar verpflichtet sind, das Wohlergehen dieser Menschen stärker zu berücksichtigen als das anderer. Diese Sonderbehand
183 lung hat aber Grenzen: Wir dürfen Fremde nicht Gefahren und gewaltsamen Behandlungen aussetzen, die wir mit Blick auf uns selbst und Menschen, die uns nahestehen, nicht akzeptieren würden. Selbst wenn wir dem im Grunde zustimmen würden, kann es durchaus vorkommen,

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