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Gerechtigkeit fuer Igel

Gerechtigkeit fuer Igel

Titel: Gerechtigkeit fuer Igel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Dworkin
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hätte es, wenn Sie umgekehrt feststellen würden, daß Menschen doch moralische Pflichten haben, wirklich echte Vorteile, sich auf einen archimedischen Platonismus der Moronen berufen zu können? Möglicherweise würden Sie letzteres bejahen, weil Sie den Eindruck haben, daß Sie Ihre Sichtweise dann selbstbewußter vertreten könnten. Hier irren Sie sich aber, weil Sie immer noch entscheiden müßten – und zwar auf der Basis ganz normaler moralischer Argumente –, welche Ihrer Überzeugungen zutreffen, um zu wissen, welche aufgrund einer bestimmten Beschaffenheit der Moronen wahr sind.
    Wir sind also zu einem wichtigen Schluß gekommen: Die gewöhnliche Sichtweise ist durchaus plausibel, und die externe Kritik an ihr scheitert letztendlich. Mehr ist aber bisher nicht gezeigt worden. Dieses Teilergebnis wird für Nichtphilosophen wenig überraschend sein, weil es ihnen im allgemeinen darum zu tun ist, welche moralischen Aussagen wahr sind, und nicht um deren Wahrheitsfähigkeit als solche. Anders ausgedrückt, man fragt sich normalerweise, ob gute Gründe für eine bestimmte Position sprechen, und nicht, ob sie überhaupt begründet werden kann. Viele Menschen und manche Philosophen, die diese Frage besonders in den Vordergrund stellen, hoffen auf einen Lackmustest, also eine Möglichkeit, ein gutes moralisches Argument als solches zu erkennen, in der das erst noch zu Beweisende nicht schon in Form irgendeiner kontroversen moralischen Theorie vorausgesetzt wird. Wenn meine bisherigen Ausführungen stichhaltig sind, dann ist diese Hoffnung keineswegs unbegründet. Wir brauchen keine archimedische, sondern eine integrierte Moralepistemologie – eine Vorstellung davon,
173 was bei der Beantwortung moralischer Fragen eine gute Argumentation darstellt –, bei der es sich selbst auch um eine substantielle moralische Theorie erster Ordnung handelt.
    Hier können wir einen Zirkelschluß nicht vollkommen vermeiden. Ob meine moralischen Überzeugungen korrekt sind, kann ich letztlich nur im Rückgriff auf andere ebenfalls moralische Urteile überprüfen. Ich habe gute Gründe, Steuerhinterziehung für falsch zu halten, wenn ich für diese Ansicht gute Argumente anführen kann. Diese Beschreibung des Problems ist natürlich stark vereinfacht, und es steht zu hoffen, daß wir für die meisten unserer Ansichten etwas komplexere Begründungen anführen können. Wenn ich aber einem Menschen gegenüberstehe, dessen moralische Überzeugungen sich radikal von den meinen unterscheiden, kann ich mich nicht darauf verlassen, einen von ihm nicht rational ablehnbaren Grund oder ein entsprechendes Argument zur Verfügung zu haben. Ich kann ihm nicht beweisen , daß meine Ansichten richtig sind, die seinen aber falsch.
    In einer solchen Situation kann ich nur hoffen, ihn – und mich selbst – von einem oft letzten Endes wichtigeren Punkt zu überzeugen: daß ich mich auf verantwortungsvolle Weise für die betreffenden Überzeugungen und die entsprechenden Handlungen entschieden habe. Der Gedanke, daß Korrektheit und Verantwortung auf diese Weise auseinanderfallen können, gehört ebenfalls zur gewöhnlichen Sichtweise. Eine Münze zu werfen und mich auf dieser Grundlage auf eine falsche Position zu Quotenregelungen festzulegen wäre verantwortungslos; wenn ich hingegen sorgfältig über die Frage nachdenke und trotzdem zu einem falschen Ergebnis komme, dann kann mir das nicht zum Vorwurf gemacht werden. Aus einer externen Perspektive ist der Unterschied zwischen der Tatsache, daß eine Ansicht korrekt ist, und dem Umstand, daß sie von Verantwortungsbewußtsein zeugt, offensichtlich. Ich kann Ihre Überzeugungen für grundfalsch halten und zugleich denken, daß Sie Ihrer diesbezüglichen Verantwortung gerecht geworden sind.
174 Aus einer Innenperspektive hingegen ist diese Unterscheidung sehr viel schwieriger zu treffen, denn wenn ich nicht glaube, daß meine Einstellung zur Abtreibung verantwortlich ist, halte ich sie auch für falsch. Doch selbst aus dieser Perspektive können die beiden Tugenden auseinanderfallen. So kann ich mir zum Beispiel sicherer sein, daß Abtreibungen tatsächlich verwerflich sind, als daß meine diesbezügliche Meinungsfindung der Frage angemessen war, oder umgekehrt weniger Zweifel an der Gründlichkeit meines Nachdenkens haben als an der Richtigkeit des Schlusses, zu dem ich gekommen bin. Es ist sogar denkbar, daß ich sicher bin, alles, was von mir erwartet werden kann, geleistet zu haben, aber

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