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Gerechtigkeit fuer Igel

Gerechtigkeit fuer Igel

Titel: Gerechtigkeit fuer Igel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Dworkin
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diesen Menschen die Achtung vorenthalte, die mein moralisches Verantwortungsbewußtsein eigentlich verlangt. Mein Umgang mit ihnen ist dann nicht von Prinzipien bestimmt.
    Filter
    Wir können diese vielfältigen Einschränkungen der Verantwortung in einer Metapher zusammenfassen. Stellen Sie sich vor, daß Ihre operativen moralischen Überzeugungen, also jene, die zu einem bestimmten Grad bestimmen, was Sie tun, zu einem Filtersystem verknüpft werden, das ihre willentliche Entscheidungsfindung einrahmt. Überzeugungen, die wir nicht ernst meinen, und Rationalisierungen sind nicht operativ und gehören daher nicht zu dem Filter, abstrakte, widersprüchliche oder eigenständige Überzeugungen hingegen schon. Lassen Sie uns zudem annehmen, daß Ihre persönliche Lebensgeschichte erklärt, welche operativen Überzeugungen zu diesem System gehören, da sie allgemein erklärt, warum Sie die Überzeugungen haben, die Sie haben, und nicht andere, die von Menschen mit anderem biographischen Hintergrund vertreten werden.
    Die Lebensgeschichte erklärt auch all Ihre vielfältigen anderen Neigungen und Einstellungen – Ihre Emotionen, Präferenzen, Vorlieben und Voreingenommenheiten –, die ebenfalls Ihre Entscheidungen beeinflussen können. Damit Sie Ihrer moralischen Verantwortung gerecht werden, müssen jene anderen
186 Einflüsse durch den Filter der operativen Überzeugungen geleitet werden, so daß sie zensiert oder umgeformt werden können, wie auch Licht von einem Filter teilweise aufgehalten und verändert wird.
    Wie ich gerade erklärt habe, können nicht wirklich ernstgemeinte Überzeugungen und Rationalisierungen nicht zu diesem Filter gehören. Durchlässige effektive Überzeugungen spielen zwar eine gewisse Rolle, aber weil sie nicht feinmaschig genug sind, bieten sie nur unvollständigen Schutz. Wenn ich Präventivkriege nur dann für falsch halte, wenn sie nicht absolut notwendig sind, und keine genaue Vorstellung habe, was »absolut notwendig« in diesem Zusammenhang bedeutet, dann kommen in meiner Entscheidung, einen Krieg zu unterstützen oder abzulehnen, unter Umständen andere biographische Daten wie Parteizugehörigkeit oder politische Ambitionen ungefiltert zum Ausdruck. Überzeugungen, die sich schlicht widersprechen, wie zum Beispiel die, daß wohlhabende Menschen das Recht haben, all ihr Geld zu behalten, und daß die Gemeinschaft verpflichtet ist, zu tun, was nötig ist, um bedürftigen Menschen zu helfen, können fast keine filternde Wirkung entfalten, selbst wenn die betreffende Person es mit beiden ernst meint, weil die Entscheidung, welcher Überzeugung sie in einem konkreten Fall Folge leistet, nicht von einem Prinzip, sondern von anderen ungefilterten Einflüssen bestimmt wird. Überzeugungen, deren Inkonsistenz durch Fragmentierung verborgen bleibt, sind ebenfalls nicht besonders effektiv, obwohl ihre Willkür nicht gleichermaßen ins Auge sticht, weil andere Einflüsse auf entscheidende Weise an der Absteckung der jeweiligen Gültigkeitsbereiche beteiligt sind. Eine Inkonsistenz zwischen Bereichen moralischer Verantwortlichkeit zeigt an, daß die betreffende Person anderen Menschen nicht mit der ihnen gebührenden Achtung und Rücksicht begegnet und der Frage nicht genug Aufmerksamkeit gewidmet hat, so daß sie Unterschiede macht, die bei genauem Hinsehen auf Willkür und nicht auf ein Prinzip zurückzuführen sind.
    187 Um unserer moralischen Verantwortung gerecht zu werden, müssen wir versuchen, unsere gut reflektierten Überzeugungen zu einem möglichst dichten und effektiven Filter zusammenzufügen und unseren moralischen Überzeugungen im Rahmen der allgemeineren kausalen Matrix unserer persönlichen Lebensgeschichte möglichst viel Einfluß zu verleihen. Dazu müssen wir uns im Zusammenhang mit unseren Werten um eine möglichst tiefgehende Kohärenz und Authentizität bemühen, indem wir Überzeugungen ausarbeiten, die so stark in uns verankert sind, daß sie uns Halt geben können, wenn wir von konkurrierenden ebenfalls biographisch bedingten Motivationen bedrängt werden. Unsere Ansichten sind zunächst unzureichend ausgearbeitet, gegeneinander abgeschottet, abstrakt und darum porös. Um unserer Verantwortung gerecht zu werden, müssen wir die uns auf den ersten Blick am attraktivsten und natürlichsten erscheinenden Überzeugungen mit kritischem Blick interpretieren und spezifischere Auffassungen entwickeln, die möglichst viel Integrität und Authentizität erlauben. Soweit

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