Gerechtigkeit: Wie wir das Richtige tun (German Edition)
das, was Sie uns heute sagen wollen, dass er keinen Sex mit Monica Lewinsky hatte?
Craig: Er hat dem amerikanischen Volk gesagt, er hatte keine sexuellen Beziehungen. Und mir ist klar, dass Sie das nicht mögen, Herr Abgeordneter, weil es … Sie werden es als formalistische Verteidigung oder Haarspalterei ansehen, als Ausflucht. Aber sexuelle Beziehungen werden in jedem Wörterbuch auf gewisse Art definiert, und mit Monica Lewinsky hatte er diese Art sexuellen Kontakts nicht … Hat er nun das amerikanische Volk getäuscht? Ja. War es falsch? Ja. War es zu tadeln? Ja. 44
Der Anwalt des Präsidenten räumte wie schon Clinton zuvor ein, dass die Beziehung mit der Praktikantin falsch, ungehörig und tadelnswert gewesen sei und die Aussagen des Präsidenten die Öffentlichkeit »in die Irre geführt und getäuscht« hätten. Er weigerte sich lediglich zuzugeben, der Präsident habe gelogen.
Was stand bei dieser Weigerung auf dem Spiel? Es kann nicht auf die lediglich legalistische Erklärung hinauslaufen, dass Lügen in einer eidesstattlichen Erklärung oder vor Gericht einen Grund für eine Anklage wegen Meineides darstellen. Clintons fragliche Aussage erfolgte nicht unter Eid, sondern in einer Fernseherklärung an die amerikanische Öffentlichkeit. Dennoch glaubten sowohl Bob Inglis als auch Clintons Verteidiger, dass es bei der Feststellung, ob Clinton gelogen oder nur in die Irre geführt und getäuscht habe, um etwas Bedeutsames ging. Ihr lebhafter Disput über die Frage »Hat er gelogen?« stützt den Gedanken Kants, dass zwischen einer Lüge und einer irreführenden Wahrheit ein moralisch relevanter Unterschied besteht.
Worin aber könnte dieser Unterschied bestehen? Die Absicht ist wohl in beiden Fällen die gleiche. Ob ich den Mörder an der Tür nun belüge oder ihm mit einer schlauen Ausflucht komme: Meine Absicht ist, ihn irrigerweise glauben zu lassen, meine Freundin sei nicht bei mir zu Hause versteckt. Und laut Kants Moraltheorie zählt die Absicht, der Beweggrund.
Ich glaube, der Unterschied ist folgender: Eine sorgfältig konstruierte Ausflucht würdigt die Pflicht zur Wahrheit, eine glatte Lüge hingegen nicht. Jeder, der die Mühe auf sich nimmt, eine irreführende, aber technisch wahre Aussage auszuhecken, wo auch eine schlichte Lüge genügen würde, drückt damit – wie indirekt auch immer – Achtung vor dem moralischen Gesetz aus.
Eine irreführende Wahrheit enthält nicht eine, sondern zwei Absichten. Wenn ich den Mörder einfach belüge, handle ich nach einem einzigen Beweggrund – ich will meine Freundin vor Schaden bewahren. Wenn ich dem Mörder erzähle, ich hätte meine Freundin vorhin beim Lebensmittelladen gesehen, handle ich aus zwei Motiven – ich schütze meine Freundin und halte mich gleichzeitig an die Pflicht, die Wahrheit zu sagen. In beiden Fällen verfolge ich ein lobenswertes Ziel: meine Freundin zu schützen. Doch nur im zweiten Fall verfolge ich dieses Ziel auf eine Weise, die mit meiner Pflicht in Einklang steht.
Man könnte einwenden, eine formal wahre, aber irreführende Aussage könne nicht ohne Widersprüche verallgemeinert werden. Aber man sehe sich den Unterschied an: Wenn jeder angesichts eines peinlichen Sexskandals (oder eines Mörders vor der Haustür) lügen würde, dann würde keiner mehr solchen Aussagen glauben, und sie würden nicht mehr funktionieren. Von irreführenden Wahrheiten lässt sich das nicht sagen. Würden alle, die sich in einer gefährlichen oder peinlichen Lage befinden, auf sorgfältig ausgearbeitete Ausflüchte zurückgreifen, so würden die Leute nicht zwangsläufig aufhören, ihnen zu glauben. Vielmehr würden die Menschen lernen, wie Anwälte zuzuhören, und solche Aussagen mit einem Blick auf ihre buchstäbliche Bedeutung analysieren. Genau das geschah, als sich die Presse und die Öffentlichkeit mit Clintons sorgfältig formulierten Dementis vertraut machten.
Kant sagt nicht, dass es besser sei, wenn die Leute die Dementis von Politikern auf ihre buchstäbliche Bedeutung abklopfen, anstatt ihnen überhaupt nicht mehr zu glauben. Das würde auf eine Argumentation hinauslaufen, die sich an den Folgen einer Handlung orientiert. Ihm kommt es vielmehr darauf an, dass eine irreführende, aber wahre Aussage den Zuhörer nicht in gleicher Weise manipuliert oder vor den Kopf stößt wie eine glatte Lüge. Es bleibt immer möglich, dass ein aufmerksamer Zuhörer die Wahrheit zwischen den Zeilen erkennt.
Man kann also begründet zu dem
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