Gerechtigkeit: Wie wir das Richtige tun (German Edition)
und ethnischen Gemeinschaften in einer gemeinsamen Institution zusammenkommen.
In unserer Zeit sind viele öffentliche Schulen in prekärem Zustand, und nur ein kleiner Bruchteil der amerikanischen Gesellschaft dient beim Militär. Insofern ist es eine schwierige Frage, wie eine so weit gespannte und inhomogene Demokratie wie die der USA die Solidarität und den Sinn für gegenseitige Verantwortung kultivieren kann, die für eine gerechte Gesellschaft erforderlich sind. Eine Frage, die neuerdings auch wieder in der Politik aufgeworfen wurde.
Während des Wahlkampfs von 2008 stellte Barack Obama fest, dass die Ereignisse des 11. September 2001 bei den Amerikanern einen Sinn für Patriotismus und Stolz und einen neuen Willen angeregt hätten, ihrem Land zu dienen. Und er kritisierte Präsident George W. Bush, weil er die Amerikaner nicht zu irgendeiner Form des gemeinsamen Opfers aufgefordert hatte. »Anstatt dass man uns aufgerufen hätte, dem Land zu dienen«, sagte Obama, »forderte man uns auf, einkaufen zu gehen. Statt eines Aufrufs zu einem gemeinsamen Opfer spendierten wir den reichsten Amerikanern – zum ersten Mal in unserer Geschichte zu Kriegszeiten – Steuernachlässe.« 41
Obama schlug vor, den staatlichen Freiwilligendienst dadurch zu fördern, dass man Studenten als Gegenleistung für 100 Stunden Arbeit in öffentlichen Diensten einen Teil der College-Gebühren ersparte. »Ihr investiert in Amerika, und Amerika investiert in euch«, erklärte er jungen Leuten, als er im Wahlkampf quer durchs Land reiste. Der Vorschlag sollte sich als eine seiner populärsten Ideen erweisen, und im April 2009 unterzeichnete er ein Gesetz, das das Programm der Gemeinschaftsdienste bei AmeriCorps erweiterte und College-Gelder für Studenten bereitstellte, die in ihren Gemeinden Freiwilligendienste übernahmen. Doch trotz der Resonanz, die Obamas Aufruf zu nationalen Freiwilligendiensten hervorrief, sind ehrgeizigere Vorschläge für nationale Pflichtdienste nicht in die politische Agenda aufgenommen worden.
2. Die moralischen Grenzen
der Märkte
Eine der auffälligsten Tendenzen unserer Zeit ist die Ausdehnung der Märkte und des marktorientierten Denkens auf Lebensbereiche, die traditionell von anderen Normen beherrscht wurden. In einigen der vorangegangenen Kapiteln haben wir uns mit jenen moralischen Fragen befasst, die sich ergeben, wenn Länder militärische Dienstleistungen und die Befragung von Gefangenen an Söldner oder Privatunternehmen auslagern, wenn Eltern die Schwangerschaft und Geburt bezahlten Leihmüttern in Entwicklungsländern überlassen oder wenn Menschen Nieren auf dem freien Markt kaufen und verkaufen. Andere Beispiele gibt es zuhauf: Sollten Studenten in Schulen mit unterdurchschnittlichen Leistungen Geld angeboten bekommen, wenn sie bei genormten Tests gut abschneiden? Sollten Lehrer Boni erhalten, wenn sie die Prüfungsergebnisse ihrer Studenten verbessern? Sollten Staaten gewinnorientierte Firmen dafür bezahlen, ihre Strafgefangenen unterzubringen? Sollten die USA ihre Einwanderungspolitik vereinfachen, indem sie den Vorschlag eines Ökonomen der University of Chicago aufgreifen, die US -Staatsbürgerschaft für eine Gebühr von 100 000 Dollar zu verkaufen? 42
Bei diesen Fragen geht es nicht nur um Nutzen und Übereinkunft. Sie drehen sich auch darum, wie zentrale soziale Praktiken zu bewerten sind – Militärdienst, Schwangerschaft, Unterricht und Lernen, Strafjustiz, Einwanderung und so weiter. Weil die Vermarktung sozialer Praktiken die sie definierenden Normen beschädigen oder entwerten kann, müssen wir fragen, welche Normen wir davor bewahren wollen, der Marktlogik anheimzufallen. Dies erfordert eine öffentliche Debatte über konkurrierende Vorstellungen zu der Frage, wie Güter angemessen zu bewerten sind. Märkte taugen zur Organisation produktiver Tätigkeiten, doch wenn wir nicht wollen, dass sie die Normen sozialer Einrichtungen neu formulieren, brauchen wir eine öffentliche Debatte über die moralischen Grenzen der Marktwirtschaft.
3. Ungleichheit, Solidarität und
staatsbürgerliche Tugend
Innerhalb der USA hat sich die Kluft zwischen Reich und Arm in den letzten Jahrzehnten vertieft und eine Größenordnung erreicht, die man seit den 30er Jahren nicht mehr erlebt hat. Doch in der Politik spielt Ungleichheit nach wie vor keine große Rolle. Selbst Barack Obamas bescheidener Vorschlag, bei der Einkommensteuer zu den Sätzen der 90er zurückzukehren, veranlasste seine
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