Gerechtigkeit: Wie wir das Richtige tun (German Edition)
republikanischen Gegner, ihn als Sozialisten zu bezeichnen, der den Wohlstand umverteilen wolle.
Anders als die Tagespolitik thematisierte die politische Philosophie immer wieder Fragen der sozialen Ungleichheit. Seit den 70ern bis in die Gegenwart ist die gerechte Verteilung von Einkommen und Wohlstand ein zentraler Bestandteil ihrer Debatten. Doch die Neigung der Philosophen, die Frage in Begriffen des Nutzens oder der Vereinbarung zu fassen, führt dazu, dass sie genau das Argument gegen Ungleichheit übersehen, das für das Projekt einer moralischen und staatsbürgerlichen Erneuerung von entscheidender Bedeutung ist und in der Politik Gehör finden könnte.
Einige Philosophen, die die Reichen besteuern möchten, um den Armen zu helfen, argumentieren im Namen des Nutzens: Nimmt man einem Reichen 100 Dollar und gibt sie einem Armen, dürfte man das Glück des Reichen nur geringfügig vermindern, das Glück des Armen dagegen stark steigern. Auch John Rawls vertritt eine Politik der Umverteilung, wenn auch aufgrund einer hypothetischen Vereinbarung. Wenn wir uns, meint er, einen hypothetischen Gesellschaftsvertrag in einer Ursituation der Gleichheit vorstellten, so würde jedermann einem Grundsatz zustimmen, der eine Form der Umverteilung unterstützte.
Es gibt jedoch einen dritten, bedeutenderen Grund, sich wegen der wachsenden Ungleichheit in Amerika Sorgen zu machen: Eine zu große Kluft zwischen Reich und Arm untergräbt die Solidarität, die für eine demokratische Bürgerschaft unerlässlich ist. Aufgrund der großen sozialen Ungleichheit entfernt sich die Lebenswelt der Reichen zunehmend von jener der Armen. Die Begüterten schicken ihre Kinder auf Privatschulen (oder öffentliche Schulen in reichen Vorstädten) und überlassen die innerstädtischen öffentlichen Schulen den Kindern aus Familien, die keine Wahl haben. Ein ähnlicher Trend führt dazu, dass die Privilegierten aus anderen öffentlichen Institutionen und Einrichtungen abwandern. 43 Private Fitnessklubs ersetzen städtische Freizeitanlagen und Schwimmbäder. Gehobene Wohnanlagen werden durch private Sicherheitsdienste bewacht und nicht mehr ausschließlich durch die Polizei. Mit dem Zweit- oder Drittwagen entfällt die Notwendigkeit, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. Und so fort. Die Begüterten ziehen sich aus den öffentlichen Orten und Diensten zurück und überlassen sie denen, die sich nichts anderes leisten können.
Das wirkt sich in zweifacher Hinsicht schädlich aus, fiskalisch und auf die Zivilgesellschaft. Erstens verfallen öffentliche Einrichtungen, weil diejenigen, die sie nicht mehr nutzen, immer weniger gewillt sind, sie mit ihren Steuern zu finanzieren. Zweitens hören öffentliche Institutionen wie Schulen, Parks, Spielplätze und Gemeindezentren auf, Orte zu sein, an denen Bürger aus unterschiedlichen Lebenswelten aufeinandertreffen. Einrichtungen, die einst Menschen zusammenbrachten und als informelle Schulen staatsbürgerlicher Tugend dienten, werden immer seltener. Die Aushöhlung des öffentlichen Raums erschwert es, die Solidarität und den Gemeinschaftssinn zu pflegen, von denen eine demokratische Zivilgesellschaft abhängt.
Ungleichheit kann demnach die staatsbürgerliche Tugend zersetzen – eine Tatsache, welche in den Markt verliebte Konservative und Liberale, die ein Problem mit der Umverteilung haben, gerne übersehen.
Wenn die Erosion des öffentlichen Raums das Problem ist – was ist dann die Lösung? Eine Politik des Gemeinwohls würde sich nicht zuletzt das Ziel setzen, die Infrastruktur des zivilen Lebens zu erhalten und auszubauen. Sie würde sich nicht so sehr auf eine Umverteilung zugunsten des für alle erreichbaren privaten Konsums konzentrieren. Vielmehr würde sie die Begüterten besteuern, um öffentliche Einrichtungen und Dienstleistungen wieder so auszubauen, dass Reiche wie Arme gleichermaßen gern davon profitieren.
Frühere Generationen haben massiv in ein Netzwerk aus Bundesschnellstraßen investiert, was den Amerikanern beispiellose individuelle Mobilität und Freiheit bescherte, aber auch dazu beitrug, dass sie auf ein privates Auto angewiesen waren. Das wiederum führte zur Zersiedelung des städtischen Umlands, zu Umweltzerstörung und zu Verhaltensmustern, die die Gemeinschaft zersetzten. Die heutige Generation könnte sich für eine ebenso konsequente Investition in eine Infrastruktur zugunsten zivilgesellschaftlicher Erneuerung einsetzen: öffentliche Schulen, in die Reiche und
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