Gerissen: Thriller (German Edition)
nichts zur Sache. Felix fand den Kurs außerordentlich beunruhigend.«
»Wirklich?«
»Er hatte gehofft, dort für kurze Zeit eine Zuflucht zu finden. Stattdessen fühlte er sich bedroht.«
»Von wem?«
»Das hat er nicht gesagt. An dieser Stelle kommen Sie ins Spiel.«
»Ich streite ja gar nicht ab, dass er sich bedroht fühlte«, sagte Ivy. »Aber ich habe keinerlei Drohungen gehört.«
»Erklären Sie das bitte.«
»Felix war nicht wie die anderen.«
»Inwiefern?«
»Weicher, könnte man sagen.«
Landau nickte. »Obgleich er in der Finanzwelt als harter Mann galt. Doch natürlich liegen die Dinge im Gefängnis anders. Felix machte bis ungefähr eine Woche vor seinem Tod eine schreckliche Zeit durch.«
»Wurde es dann besser?«
»Sie verlegten ihn in einen anderen Block. Sein ehemaliger Zellengenosse hatte ihn gefoltert. Das meine ich wörtlich. Ein offensichtlicher Verdächtiger für den Mord, einer dieser Latin Kings, aber die Untersuchung ist aus irgendeinem Grund abgewürgt worden. Der neue Zellengenosse war anders, er hatte eindeutig Mitleid mit Felix, ging sogar so weit, seinen Folterknecht zur Rede zu stellen. Felix hatte vor, ihn zur nächsten Stunde mitzubringen.«
»Hat Felix seinen Namen erwähnt?«
»Den des Zellengenossen?« Landau zog ein ledergebundenes Notizbuch hervor und blätterte die Seiten durch. »Harrow«, sagte er.
Alles, was Ivy in der Bücherei von Dannemora beobachtet hatte, erhielt unvermittelt eine völlig neue Bedeutung, zwang sie, ihre Zurückhaltung als Leiterin des Kurses aufzugeben, basta. »Der Mann, den Sie suchen«, sagte sie, »heißt Hector Luis Morales.«
Wieder zu Hause. Keine neuen Nachrichten. Ivy hörte die letzte noch einmal ab.
Hallo. Ich hatte eine technische Frage an Sie. Vielleicht ein anderes Mal.
Keine Vermittlung als R-Gespräch, überhaupt nichts dergleichen. Ivy spielte das Band noch ein paarmal ab. Harrow hatte keine tiefe, warme Stimme wie Herman Landau. Landaus Stimme war Musik und Manipulation. Harrows hatte andere Eigenschaften, weniger steuerbar vielleicht, wie Magnetismus.
Zwölf
H i.«
»Hi, Danny.«
»Wie geht’s dir?«
»Gut.«
»Ich habe über gestern Nacht nachgedacht.«
»Und?«
»Nur nachgedacht.« Dannys Stimme klang belegt. »Lange.«
Ivy sagte nichts.
»Und du?«, fragte Danny.
Im Hintergrund sagte eine Frau: »Dreieinviertel? Sind die wahnsinnig?«
Danny senkte die Stimme. »Nun?«
»Nun was?«, fragte Ivy.
»Hast du auch darüber nachgedacht? Über letzte Nacht?«
Die Frau im Hintergrund sagte: »Dann geben Sie die beschissenen Zahlen noch mal durch.«
»Jetzt ist kein guter Zeitpunkt, um darüber zu reden«, erwiderte Ivy.
Sie hörte ein leises Poltern, als wäre etwas von Dannys Schreibtisch gefallen. »Stimmt was nicht?«, fragte er.
»Es ist einfach kein guter Zeitpunkt.«
»Sag’s mir.«
»Ich habe Natasha Balaban getroffen.«
»Hab ich gehört.«
»Hast du auch gehört, dass Herman Landau ebenfalls dort war?«
Schweigen. »Ich wusste nicht, dass das geplant war.«
»Du hast behauptet, sie wollte einfach einen normalen Menschen treffen, der ihn dort drin gesehen hat«, sagte Ivy.
»So hat man es mir gesagt.«
»Man?«
»Sie«, verbesserte sich Danny. »Das hat Natasha gesagt.«
»Demnach weißt du nichts von ihren Machenschaften.«
»Machenschaften?«
»Wie zum Beispiel ihre eigene Ermittlung«, sagte Ivy, »und die Klage und was immer sie sonst vorhaben mögen.«
Diesmal hielt das Schweigen länger an. »Zur Zeit ist Natasha eine sehr wütende Frau«, sagte Danny. »Sehr wütend und sehr reich.«
Aber gehörte das nicht zu den Dingen, vor denen der Freund, Mann in deinem Leben, Ehemann dich beschützen sollte – statt dich dem auszusetzen? Ivy behielt diesen Gedanken für sich. Vielleicht war er nicht besonders emanzipiert, eine Vorstellung aus dem letzten oder vorletzten Jahrhundert, als von Frauen noch nicht erwartet wurde, sich selbst zu schützen. Sie sagte nur: »Ich bin die Leiterin der Schreibwerkstatt, basta.« Nicht länger die Wahrheit: Innerlich versetzte es ihr einen Stich.
Danny lachte, ein schrilles kurzes Kichern, bei dem Ivy an ihre Schulzeit denken musste und an den klügsten Jungen der Klasse. »Das ist doch verrückt«, meinte er. »Du bist weitaus mehr als das.«
»Weitaus mehr als was?«
»Um Gottes willen, Ivy. Denk doch mal dran, wie beeindruckt Whit war. Du wirst es zu was bringen. Vergiss Dannemora.«
»Mir gefällt der Job«, sagte Ivy.
»Heißt das, du
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