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Gerissen: Thriller (German Edition)

Gerissen: Thriller (German Edition)

Titel: Gerissen: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Abrahams
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machst weiter?«
    Menschenansammlungen besaßen magnetische Kräfte, wie Ivy auf dem Wilderness Lake bewusst geworden war; aber Dannemoras Macht war unverhältnismäßig, zerrte hier, in der größten Stadt des Landes, an ihr, in der sie eigentlich vollkommen neutralisiert sein sollte. Woran lag das?
    »Erzähl mir nicht, du fährst wieder dorthin«, sagte Danny. »Das ergibt doch keinen Sinn.«
    In Wahrheit hatte sie noch nicht darüber nachgedacht. Die Sache mit dem New Yorker öffnete ihr wahrscheinlich eine vollkommen neue Welt, aber welche Teile der alten Welt sollte sie behalten? Sie klaute einen Satz von Herman Landau, die Art Rat, für die Natasha Balaban ihm vermutlich siebenhundert Dollar die Stunde bezahlte: »Wir wollen nichts überstürzen.«
    »Sammelst du Material?«, fragte Danny. »Ist es das? Aber dieses Gefängniszeug ist doch zu Tode geritten.«
    Professor Smallian hatte diese Frage eines Tages ein für alle mal beantwortet: Sie haben die freie Auswahl – es kommt nur auf den Blickwinkel an.

    Ivy lief den Block hoch, eine Einkaufstüte in der Hand – drei Äpfel der Sorte Pink Lady, ein halber Liter fettarme Milch, Karotten, Salat, Tomaten, einhundertfünfzig Gramm Räucherlachs, ein Laib Mehrkornbrot und eine Fünf-Dollar-Tafel französische Schokolade, von der sie unterwegs schon die Hälfte gegessen hatte –, als ihr der Postbote entgegenkam. Der Postbote der Schermerhorn Street trug einen langen grauen Vollbart, das ganze Jahr Shorts und hasste Hunde. Ihre Wege trafen sich vor Ivys Mietshaus, und sie stiegen gemeinsam die Treppe hinauf.
    »Seidel, fünf?«, fragte er.
    »Richtig.«
    Er reichte ihr einen kleinen Poststapel.
    Ivy erklomm die Stufen, in der einen Hand die Einkaufstüte, in der anderen die Post. Unbeholfen blätterte sie durch die Rechnungen und Kataloge, warf einen kurzen Blick hinein und – was war das? Ein Umschlag vom New Yorker ? Sie blätterte zurück, verlor die Kontrolle über die Post, die ihr aus der Hand glitt, und als sie versuchte, sie festzuhalten, fiel ihr auch die Einkaufstüte herunter, und ein wildes Sammelsurium – Rechnungen, Kataloge, Äpfel, Karotten, Schokolade – glitt und stürzte auf den Absatz im zweiten Stock. Ivy stolperte die ausgetretenen Stufen hinunter, verlor dabei dies und das und bekam endlich den Umschlag vom New Yorker in die Finger.
    Sie riss ihn auf.
    Ein Brief. Ein einziges Blatt. Kein Scheck? Vielleicht kam erst der Vertrag. Aber auch kein Vertrag? Ihr Blick glitt über die Schreibmaschinenzeilen, viel zu schnell, um etwas davon aufzunehmen. Sie begann wieder von vorn, zwang sich, langsam zu lesen, Wort für Wort; und selbst so entging ihr zu Beginn die Bedeutung, als würde sie sich eine Liste von Vokabeln einprägen, doch in Wahrheit kein bisschen Englisch verstehen.
    Wer hatte ihn geschickt? Robert W. Whitmore, Lektorat? Wer zum Teufel war Robert W. … Whit.
    Die Sprache kehrte zu ihr zurück.
    Liebe Ivy,
    nach reiflicher Überlegung sind wir hier bei der Zeitung zu dem Schluss gekommen, dass Ihre Kurzgeschichte »Höhlenmann« zum jetzigen Zeitpunkt für uns nicht ganz das Richtige ist. Dennoch ist es eine sehr gute Kurzgeschichte, die traditionelle Erzähltechniken mit beachtlich postmoderner thematischer Innovation verbindet. In diesem Punkt ist sie vielleicht ein wenig zu »überfrachtet«. Haben Sie schon in Betracht gezogen, sie zu einem Roman auszuarbeiten?
    In der Zwischenzeit fassen Sie dieses Schreiben bitte als Ermutigung auf. Schicken Sie in Zukunft alle Ihre Beiträge direkt an meine obengenannte Adresse.
    Herzlich,
    nicht ganz das Richtige
    sehr gute Kurzgeschichte
    »überfrachtet«
    Acht Schlüsselwörter, die sich zu einer Absage verdichteten. Absage hieß, dass etwas an ihrer Story nicht stimmte, aber was? Ivy las den Brief erneut und hatte nach wie vor keine Idee. Sie war so nah dran gewesen! Oder doch nicht? Hatte er vielleicht nur Danny einen Gefallen getan, und Whit hasste jedes einzelne gottverdammte Wort? War das möglich? War die ganze Welt eine einzige Seilschaft voller Netzwerker?
    Ivys Herz schlug zu schnell und zu schwach; ihr war ein wenig schwindlig, sie stolperte. Ein Pink Lady kullerte über den Rand des Treppenabsatzes im zweiten Stock und kullerte die Stufen hinunter.

    Ivy übergab ihren Führerschein – mittlerweile wusste sie, dass sie außer diesem und der Aktenmappe alles im Auto lassen musste –, ließ ihre Hand mit BESUCHER abstempeln und trat durch die Sicherheitsschleuse.

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