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Gerissen: Thriller (German Edition)

Gerissen: Thriller (German Edition)

Titel: Gerissen: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Abrahams
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lächeln sehen? Mit Sicherheit nicht, denn dann hätte sie bemerkt, wie weiß und gleichmäßig seine Zähne waren, alle außer dem linken – wie hießen die vorn noch mal? Schneidezähne? – bis auf den linken Schneidezahn, der aus Gold war. »Wie alt waren Sie?«, erkundigte er sich.
    »Fünfte Klasse«, antwortete Ivy. »Ich muss zehn gewesen sein.«
    »Was hat der Bulle getan?«, fragte Harrow.
    »Wenn ich so darüber nachdenke, könnte es auch ein Wachmann gewesen sein«, meinte Ivy. »Er hat gedroht, es meinen Eltern zu sagen, falls ich so was noch mal mache.«
    »Das war alles?«, fragte Morales.
    »Und er sagte, ich soll aufhören zu weinen.«
    Schweigen. Dann begann Harrow zu lachen. Perkins fiel ein, dann Ivy und schließlich auch Morales. Sie lachten noch immer, als Sergeant Tocco eintrat. Das Gelächter verstummte.
    »Hier geht’s ja lustig zu«, sagte er. Er winkte Morales mit gekrümmtem Finger. »Haben Sie einen Moment Zeit?«
    »Die Stunde ist noch nicht um«, erwiderte Morales.
    »Für Sie schon«, sagte Sergeant Tocco.
    »Für mich?«, fragte Morales. »Ich mag den Kurs.«
    »Vielleicht mochte Balaban ihn auch«, sagte Sergeant Tocco.
    »Klein-Felix?«, antwortete Morales. Sein Stuhl scharrte über den Boden. »Was soll der Scheiß?«
    »Von mir aus können Sie diese Nummer durchziehen«, sagte Sergeant Tocco. »Aber jetzt gehen wir.«
    Morales schüttelte den Kopf. »Ich geh nirgendwo hin«, verkündete er. »Die Stunde ist noch nicht um.«
    Drei Wachmänner in Kampfmontur rückten in den Raum vor, eine harte Keilformation aus Knüppeln, Schilden, Helmen. Morales sprang auf und ließ den Arm aus der Schlinge gleiten. Sergeant Tocco packte Ivy an der Schulter und zog sie aus dem Weg. Wie ein sechsbeiniger Organismus schoben sich die Wachmänner mit kurzen, präzisen Schritten vorwärts. »Umdrehen! Die Hände an die Wand!«
    Doch stattdessen holte Morales zu einem gewaltigen Tritt aus, der einen der Schilde quer durch den Raum fliegen ließ. Dann warf er sich direkt in die Keilformation, seine riesige Faust bohrte sich tief in den Magen des schildlosen Wachmanns. Die anderen schlugen mit ihren Knüppeln zurück, droschen auf Morales’ Brust, seinen Kopf, seine verletzte Schulter ein. Ivy spürte den Schmerz in ihrer eigenen Schulter, aber es war nur Sergeant Toccos Hand, die hart zudrückte. Morales schrie auf, ging zu Boden. Immer weiterprügelnd warfen sie sich auf ihn.
    Vom anderen Ende des Tisches erklang ein Röhren, anders als alles, was Ivy je vernommen hatte, zutiefst menschlich und doch gleichzeitig wild. Perkins stürzte sich quer über den Tisch, ergriff einen der Klappstühle, schwang ihn gegen die Rücken der Wachmänner, die auf dem Boden mit Morales kämpften, schwang ihn mit solcher Gewalt, dass er in der Luft verschwamm. Jetzt brüllte ein Wachmann, ein Schrei, noch schmerzerfüllter als der von Morales.
    Morales kreischte: »Reiß ihm den Kopf ab!«
    Dann war Sergeant Tocco auf der anderen Seite der Bücherei. Er schlug mit dem Knüppel gegen Perkins’ Hinterkopf, nicht besonders heftig, aber offensichtlich perfekt plaziert, denn Perkins brach lautlos auf dem Boden zusammen.

    Ein paar Minuten später waren alle verschwunden – Morales und Perkins auf Tragbahren, gefolgt von den Wachmännern und Sergeant Tocco.
    Taneesha trat ein. »Alles in Ordnung?«, fragte sie.
    Ivy nickte. Ihr wurde bewusst, dass sie sich gegen die Wand drückte, und auf unsicheren Beinen trat sie einen Schritt vor. Harrow saß mit auf dem Tisch gefalteten Händen auf seinem Stuhl. Er hatte sich die ganze Zeit nicht gerührt.
    »Ich bringe Sie zurück«, sagte Taneesha.
    Ivy sah auf die Uhr an der Wand. »Die Stunde ist noch nicht um«, stellte sie fest und fühlte sich – irgendwie verrückt – außerordentlich lebendig.

Dreizehn
    I n der Bücherei von Dannemora: Ivy an einer Schmalseite des Tischs, Harrow an der anderen, an der Wand die Uhr. Eine sehr alte Wanduhr, die Ivy zum ersten Mal auffiel. Der rote Sekundenzeiger verharrte sechzigmal die Minute mit einem Klick, was sie jetzt, da nur noch sie beide sich im Raum befanden, hören konnte.
    »Wegen mir müssen Sie die Stunde nicht bis zum Ende durchziehen«, sagte er.
    »Wie wär’s, wenn Sie mir zeigen, was Sie geschrieben haben?«, sagte Ivy.
    »Ich verstehe, wenn Sie das erschüttert«, meinte Harrow. Er sah ihr in die Augen, schaute weg, sah wieder hin. Ihre Blicke trafen sich; es war, als sollten sie nicht im Gefängnis sein. »Dieser

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