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Gerissen: Thriller (German Edition)

Gerissen: Thriller (German Edition)

Titel: Gerissen: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Abrahams
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Stimmung schlug fast augenblicklich wieder um.
    Ivy nahm das Foto in die Hand und musterte Harrows Gesicht; es löste sich auf, in schwarze Punkte und weiße Punkte. »Waren Ihre Schwester und Harrow verheiratet, als das Foto aufgenommen wurde?«
    »O ja«, sagte Claudette. »Damals waren sie fast ein Jahr verheiratet. Das war nur ein paar Monate vor dem Überfall.«
    »Hatten die beiden Kinder?«
    »Nein.«
    »Keine kleine Tochter mit Löckchen?«
    »Hä?«, machte Claudette. »Wie kommen Sie denn darauf?«
    »Ein Irrtum meinerseits«, sagte Ivy. »Wie war die Ehe?«
    »Er hat sie geliebt«, sagte Claudette.
    Ivy warf noch einen Blick auf das Bild. »Ich glaube, das kann ich sehen.«
    »Ich meine, wirklich geliebt«, sagte Claudette. »Angebetet, wissen Sie? Dass einer wild nach mir war, das habe ich selbst ein- oder zweimal erlebt – schönen Dank an Gott dafür –, aber angebetet – nie.« Sie nahm Ivy das Foto weg und musterte Harrow. »Die Art, wie er aufgewachsen ist, die Lusks und so, da war nicht viel, Sie wissen schon …«
    »Geborgenheit in seinem Leben?«, fragte Ivy.
    »Stimmt genau«, sagte Claudette. »Er hat sogar darüber geschrieben.«
    »Darüber geschrieben?«
    »Ich kann es Ihnen zeigen.« Claudette ging in ein anderes Zimmer und kehrte in weniger als einer Minute mit einer Valentinskarte von Hallmark zurück, die an den Rändern vom Alter leicht vergilbt war. »Die lag bei den Blumen, die er ihr geschickt hat.« Claudette reichte Ivy die Karte.
    Auf der Vorderseite sah man die Silhouetten eines Mannes und einer Frau, die einen Sonnenuntergang betrachteten. Innen war der Vordruck – Die Liebe ist unser  – durchgestrichen; stattdessen, in Tinte:
    Betty Ann,
    der längste Sturz und die weichste Landung.
    Auf ewig, Vance
    Seine Handschrift hatte sich überhaupt nicht verändert, ordentlich, ein bisschen klein, kein Hinweis auf ein Zögern.
    »Schwer zu glauben, dass er sie jemals aufgeben würde«, bemerkte Ivy.
    Claudette wurde ein bisschen blass. »Was sagen Sie da?«
    »Selbst wenn er wüsste, wo sie ist«, sagte Ivy. »Er würde nie einen Handel eingehen.«
    Claudette nickte. »Das sehen Sie vollkommen richtig.« Ganz plötzlich verzerrte sich ihr Gesicht, und sie begann zu weinen, schwere Schluchzer drangen aus ihrem Innern.
    Ivy trat einen Schritt auf sie zu und berührte ihren Arm. »Was ist denn?«
    Claudette warf sich in Ivys Arme, stieß sie fast um. Ihre Tränen flossen auf Ivys Schulter. Sie sagte etwas, das von Ivys Pullover gedämpft wurde.
    »Das habe ich nicht verstanden«, sagte sie.
    Claudette hob das Gesicht, ihr Make-up war völlig verschmiert. »Ich vergebe ihr«, wiederholte sie.
    »Den Überfall?«, fragte Ivy. Ihr kam eine Idee. »Haben Sie gewusst, was sie vorhatten?«
    Claudette löste sich von ihr und trat einen Schritt zurück. »Ich weiß gar nichts.«
    »Aber Sie standen sich sehr nahe – hat Betty Ann Ihnen davon erzählt?«
    Claudette wurde laut, ihr Ton war plötzlich schneidend. »Die Bullen haben mir geglaubt. Also wer zur Hölle glauben Sie, dass Sie sind?« Sie zog den Saum ihres T-Shirts hoch, entblößte ihren wabbeligen blassen Bauch und wischte sich das Gesicht ab.
    »Ich glaube, ich sollte gehen«, sagte Ivy.
    Claudette nickte, das Gesicht noch hinter dem T-Shirt verborgen. »Schreiben Sie einfach, dass ich ihr vergeben habe«, sagte sie, jetzt ein wenig ruhiger.
    »Wollen Sie damit sagen, dass Betty das Buch vielleicht irgendwo sehen und es erfahren könnte?«, fragte Ivy.
    »Vielleicht vergibt sie mir dann auch.«
    »Weswegen?«, fragte Ivy.
    Claudette ließ das T-Shirt sinken. Ihr Gesicht war feucht und verschwollen, aber sie hatte aufgehört zu weinen. »Ich glaube nicht, dass Ihr Buch gut wird«, sagte sie.

Siebzehn
    B eschwipst. Das war der Ausdruck, mit dem Ivys verstorbene Großmama damals in Ohio jedes Stadium der Trunkenheit bezeichnet hatte, einschließlich Großpapas Totalausfällen. Als Ivy am Ende der Ransom Road in ihren Saab stieg, fühlte sie sich beschwipst. Sie fuhr auf die Kuppe des Hügels, bog ab, bog wieder ab, noch ein paarmal, und fand sich inmitten Meilen wogenden Farmlands wieder – das Wogen entlockte ihr ein oder zwei Rülpser, die sie stark an die Schweineplatte erinnerten und Schlimmeres versprachen – und plötzlich befand sie sich auf der Main Street von West Raquette, nur dass sie aus der entgegengesetzten Richtung kam. Das veranlasste sie, auf den Tacho zu schauen. Der Anblick löste ihren Fuß umgehend

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