Gerissen: Thriller (German Edition)
ein. Der harte Gegenstand: ein Stück in Folie gewickelte belgische Schokolade, die von Dannys Kopfkissen gerutscht sein musste.
Danach konnte Ivy nicht wieder einschlafen. Sie stand auf, setzte sich an den Schreibtisch und begann auf dem dicken Briefpapier des Hotels zu schreiben.
Gold Dust
Die offizielle Version: Drei maskierte Räuber – Lusk, Carter, Harrow. Lusk und Carter sterben. Harrow nimmt das Geld. Lässt Mandrell am Anleger im Stich. Mandrell gibt Harrow als Mittäter an. Harrow wird in seinem Haus verhaftet. Betty Ann entkommt mit dem Geld.
Die Wahrheit: Drei maskierte Räuber – Lusk, Carter Mandrell. Lusk und Carter sterben. Mandrell nimmt das Geld. Er wird am Anleger verhaftet. Denunziert Harrow. Harrow wird in seinem Haus verhaftet. Betty Ann und das Geld sind verschwunden.
Daraus folgt?
Daraus folgte was? Ivy hatte keine Ahnung. So viele Fragen, und sie alle rührten aus dem Zusammenprall zweier unvereinbarer Tatsachen: Harrow war unschuldig; er hatte sich schuldig bekannt.
Ivy duschte, packte und checkte im Morgengrauen aus dem Hotel aus, die Rechnung war bereits bezahlt. Doch sie fuhr nicht zum Flughafen und bestieg den Flieger zum JFK. Stattdessen mietete sie ein Auto und fuhr zurück zur Grenze. Sie erreichte Raquette, noch ehe die Sonne – eine fahle, spätherbstliche Scheibe, die kleiner als üblich schien – sich über die Bäume erhob.
Casino, Bootsanleger, Harrows Haus. Vermutlich bildeten sie eine Art Dreieck. War es ein mathematisches Problem? Ivy wusste, dass das nicht gut war. Ihr Verstand arbeitete nicht auf diese Weise. Er wollte eine Geschichte, und trotz ihres Studiums und der ganzen Stipendien bevorzugte sie nach wie vor eine traditionelle mit Anfang, Mitte und Ende. Sie fing mit dem Casino an.
Früh am Morgen, doch der Parkplatz war bereits viertelvoll oder vielleicht noch vom gestrigen Abend zu einem Viertel gefüllt. Vor dem Eingang stand ein Kran, der das Gold-Dust-Casino-Schild entfernte; ein neues Schild – doppelt so groß, mit Goldmünzenregen und einem Bergarbeiter, der die Hacken zusammenschlug – wartete auf einem Lastwagen.
Sie saß auf dem Parkplatz. Offizielle Version: Frank Mandrell wartet beim Bootsanleger auf Harrow, der niemals auftaucht. Die Wahrheit: Mandrell verlässt das Casino mit einem Seesack voller Geld. Angenommen, das wäre der Entwurf: Wie ging es weiter? Mandrell steigt in ein Auto. Wartete jemand am Steuer auf ihn, oder fährt er selbst? Hatte Ferdie Gagnon ein in der Nähe des Anlegers parkendes Auto erwähnt? Nicht, dass Ivy wüsste.
Nächste Frage: Wie schnell fuhr man einen Fluchtwagen? Darüber wusste Ivy nichts. Was würde sie persönlich tun? Schnell fahren, sicher, aber nicht zu schnell, damit sie nicht die Aufmerksamkeit eines zufällig herumfahrenden Streifenwagens erregte. Sie entschied sich für ungefähr zehn Meilen über der erlaubten Höchstgeschwindigkeit. Ivy stellte den Kilometerzähler auf null und sah auf die Uhr: 7:58. Sie verließ den Parkplatz des Gold Dust.
Ivy folgte dem Highway bis zu einer Ampel, bog auf eine Straße ab, die hinunter zum Fluss führte, dann auf eine andere, die parallel dazu verlief, und schließlich auf den holprigen Feldweg, zu dem Leon Redfeather sie gebracht hatte. Anderthalb Meilen später endete der Weg bei der riesigen Weide. Schmutziger Schaum von der Farbe gerösteter Marshmallows trieb gegen den Fuß des Anlegers. Zeit: 8:14. Sechzehn Minuten.
Offizielle Version: Harrow, der Mandrell reinlegt, ist mit dem Geld auf dem Weg zu seinem Haus, während Mandrell am Bootsanleger wartet, wo er von der Grenzpatrouille aufgegriffen wird.
Die Wahrheit: Mandrell trifft mit dem Geld am Anleger ein.
Eine Tatsache, von der Ivy vollkommen überzeugt war, aber sie warf neue Fragen auf. Zum Beispiel war das Geld nicht dort gewesen, als die Grenzpatrouille Mandrell verhaftet hatte. Wo war das Geld? Zusammen mit Betty Ann verschwunden. Hieß das, dass Betty Ann Mandrell vom Casino zum Bootsanleger gebracht und dann zu dem Haus gefahren war, in dem sie mit Harrow lebte?
Ivy stieß zurück, wendete, fuhr zum Highway und nach West Raquette. Sie kam am Main Street Diner vorbei – davor parkte ein Streifenwagen, und Ferdie Gagnon saß am Fenster und trank Kaffee –, fuhr den Hügel empor an der Highschool vorüber, vorbei am Schild der Ransom Road. Exakt zweikommavier Meilen später begann der namenlose Pfad in die Wälder. Ivy folgte ihm um eine Kurve, eine Steigung hinauf und hielt vor dem
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