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German Angst

German Angst

Titel: German Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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mit dem schmutzigen Geschirr. Franz drehte sich zu ihm um.
    »Das ist doch dubios, was mit der passiert ist, das ist doch ein Witz, so was!« Franz schob seinen Teller weg und ging zur Tür. Der Dritte blieb noch einen Moment stehen und wartete auf Luggi.
    »Ich find das richtig, was der Franz sagt, die Asylanten nutzen uns ganz schön aus.«
    »Das heißt Asylbewerber«, sagte Luggi. »Außerdem ist deine Frau doch auch eine Ausländerin.«
    »Ja, Ilonas Eltern sind aus Lettland, aber sie ist hier geboren.«
    »So wie Lucy.«
    »Aber das ist eine Kriminelle.«
    »Aber sie ist in München geboren. Wenn ihr euch scheiden lasst, willst du dann, dass Ilona nach Lettland ausgewiesen wird?«
    »Spinnst du? Das kann man überhaupt nicht vergleichen.«
    »Freilich nicht.«
    »Was?«
    Sie verließen das Café. Draußen redete Franz weiter auf Luggi ein und dann verschwanden sie im Hinterhof eines Wohnblocks, dessen Rückseite von einem Gerüst verdeckt wurde.
    Süden hatte jedes Wort mit angehört, und mit jedem Wort entfernte er sich weiter von der Stelle, an der er stand, vom Fenster mit der aufgeklebten, großen braunen Breze, weiter von diesem Café, von dieser durch Absperrungen verengten Straße, weiter von dieser Stadt, von dieser Stunde. An seine Eltern musste er denken, die aus einer Kleinstadt im Sudetenland geflohen waren und als Flüchtlinge in einem südbayerischen Dorf ein Zuhause fanden, das ihnen ebenso fremd blieb wie sie selbst den Bewohnern. Schon als Junge wurde Tabor Süden an bestimmten Tagen das Gefühl nicht los, dass er am verkehrten Ort war, dass er nicht hierher gehörte, dass er nur aus Versehen hier gelandet war und seine Eltern einen Fehler gemacht hatten, indem sie in den letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs ausgerechnet in dieses Dorf Taging gefahren waren. Natürlich, das wusste er, und es war ihm auch damals schon irgendwie klar gewesen, hatten sie dieses Ziel nicht bewusst gewählt. Sie waren anderen gefolgt, die sich in derselben Lage befanden, und keiner hatte eine genaue Vorstellung davon, wie ihre zukünftige Heimat aussehen würde. Darüber nachzudenken war keine Zeit, sie wollten überleben, den russischen Truppen entkommen, warten, bis der Krieg zu Ende war, und dann weitersehen. Vielleicht würden sie zurückkehren, vielleicht würden sie ihre alte Heimat nie wieder sehen, nichts war gewiss und alles war egal, solange man noch atmete und ein Stück Brot zu essen hatte. Gehungert wurde in Südens Elternhaus nie, auch wenn sein Vater als Holzarbeiter kaum Geld verdiente und seine Mutter als Serviererin jede Nacht bis ein Uhr im Fasan bleiben musste, damit sie fürs Kücheputzen ein paar Mark extra bekam, mit denen sie ihrem Sohn gelegentlich neue Wäsche kaufen konnte.
    Nicht weil sie Zugereiste waren – Hunderte von Flüchtlingen aus dem Sudetenland und aus Schlesien ließen sich allein in Taging nieder –, kam Tabor sich verloren und verkehrt vor.
    Sondern weil er das Dorf wie ein Gefängnis empfand, aus dem es kein Entrinnen gab, wie eine Zelle, in der man nur auf und ab gehen konnte, Tag für Tag, mit einem beschränkten Blick auf die Welt dort draußen, verurteilt zu träumen oder zu verzweifeln oder abwechselnd beides. Außerdem sprach er wenig. Am Anfang fürchtete die Volksschullehrerin, er sei behindert und müsse womöglich auf die Sonderschule. Auch in Rechtschreibung machte er mehr Fehler als seine Klassenkameraden und es schien ihm größte Mühe zu bereiten zu lernen und seine Defizite einzusehen. Seine Mutter beschwor ihn, sich Mühe zu geben, sie wünschte sich nichts mehr, als dass er aufs Gymnasium ging und einen guten Beruf ergriff, der Ansehen und ausreichend Geld einbrachte. Sogar sein Vater, der, wie Tabors Mutter immer behauptete, absolute Stille im Haus benötigte, um einigermaßen leserlich seinen Namen unter ein Formular setzen zu können, sogar er nahm sich Zeit und übte mit seinem Sohn Rechnen und Schreiben. Bei manchen Aufgaben war nicht ganz klar, wer mit wem übte, aber sie strengten sich beide sehr an und eines Tages beherrschte Tabor das Alphabet und das Einmaleins so fließend wie alle anderen in der Klasse. Und später schaffte er tatsächlich die Aufnahmeprüfung für das Gymnasium und er machte sein Abitur und wurde Beamter und verdiente genügend Geld, um gut davon leben zu können. Doch zu diesem Zeitpunkt war seine Mutter schon lange tot und sein Vater verschwunden und er fühlte sich fremd und verkehrt wie als Kind. Und oft während der

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