Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
German Angst

German Angst

Titel: German Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
Vom Netzwerk:
einschnappen und wuchtete den Koffer in die Höhe.
    »Kommen Sie!«, sagte er zu Arano.
    Der Schwarze sah ihn aus müden, flackernden Augen an. Süden stellte den Koffer ab, ging zu ihm, zögerte einen Moment, dann packte er ihn an den Schultern und zog ihn hoch. Wie bei einer ferngelenkten Puppe schlenkerten Aranos Arme neben dem Körper und der Kopf bewegte sich mechanisch hin und her, von rechts nach links, dann Stillstand für eine Sekunde, dann von links nach rechts. Süden hatte den Eindruck, die Blicke streiften ihn nicht einmal, sie blieben gefangen in den Pupillen, die aussahen wie aus Glas, aus schwarzem undurchdringlichem Glas.
    »Niemand findet Sie«, sagte Süden, »ich bringe Sie in Sicherheit.«
    »Sicherheit«, begann Arano und seine Stimme klang erschöpft. Süden dachte: Grau, seine Stimme hat einen grauen Klang. »Sicherheit… hab ich keine, nur… Sicherheitslosigkeit.«
    Wie aus Versehen lächelte Melanie.
    »Sicherheitslosigkeit«, wiederholte Süden. Arano nickte. Die Abwesenheit, die ihn umgab und in die er sich hüllte, kannte Süden von sich selbst, sie war sein Gewand, wenn die Wände näher rückten und die Stimmen sich aus der Stille schälten, die er nicht hereingebeten hatte. Jemand klopfte an die Tür, einmal lang, zweimal kurz. Jetzt gelang es Süden, einen Blick von Arano zu erwischen, und er zwang ihn, dem seinen standzuhalten.
    »Kommen Sie mit mir!«, sagte er. »Ich weiß einen sicheren Ort.«
    Wenn er später an diesen Augenblick in der Pension zurückdachte, schämte er sich, und er ging nie wieder unten ins Gasthaus, auch als Rollo, der Wirt, besorgt im Dezernat anrief und sich nach ihm erkundigte.
    Leise wurde die Tür von außen geöffnet. Rollo, ein dürrer Mann um die sechzig, streckte den Kopf herein.
    »Das Taxi ist da«, sagte er.
    »Ja und ich?«, fragte Ira Horn.
    »Sie fahren mit«, sagte Süden.
    »Aber ich hab meine Sachen noch nicht gepackt!«
    »Das machen Sie hernach«, sagte Süden. »Und Sie…«, er meinte Melanie, »Sie fahren wieder zum Theater, ganz normal.«
    »Und wenn mich jemand fragt, was ich hier gemacht hab?«
    »Wer sollte das tun?«
    »Die Journalisten.«
    »Ja«, sagte Süden und winkte Arano, ihm zu folgen.
    »Wenn die Reporterin, die dort unten wartet, Sie anspricht, sagen Sie, Sie hatten hier beruflich zu tun, Sie wollen sich einen Schrank ausleihen, den Sie für ein Stück brauchen…«
    »Einen Schrank?«
    »Warum nicht?«, sagte Süden. »Gibts keine Theaterstücke, in denen Schränke gebraucht werden?«
    Er wartete, bis Arano, schleppend, wie von hundert Steinen beschwert, und Ira Horn, umwölkt von 4711, an ihm vorbeigingen, und erklärte ihnen, wie sie in den Hinterhof kämen.
    »Es bleibt, wie besprochen«, sagte er zu Rollo, »wir waren nie hier. Sperr den Eingang ab, für alle Fälle!«
    »Der Eingang ist immer abgesperrt.«
    Süden gab ihm einen Hundertmarkschein. »Eine Anzahlung«, sagte er.
    »Spinnst du? Steck das ein!« Rollo wollte ihm das Geld zurückgeben, aber Süden ging schon die Treppe hinunter. Die Kosten für die Übernachtung von Arano und Ira Horn würde er aus eigener Tasche bezahlen müssen, im Dezernat gab es keinen Etat für die Unterbringung von Verlobten und Verwandten von Entführungsopfern. Dass er Arano vor der Presse schützen wollte, geschah mit ausdrücklicher Unterstützung von Karl Funkel und sogar von Volker Thon. Bei ihren zustimmenden Worten würde es freilich auch bleiben. Süden ärgerte sich nicht darüber, er hatte entschieden, so zu handeln, ganz gleich, was es kostete.
    Immerhin würde er nun überraschend Geld sparen. Und das hatte er, fiel ihm ein, niemand anderem als der Chefreporterin zu verdanken.
    »Deisenhofener Straße 111«, sagte er zum Taxifahrer. Dort wohnte er in einem grünen Wohnblock, der umgeben war von weiteren, andersfarbigen Wohnblocks, seit vierzehn Jahren und nun war es das erste Mal, dass er außer Sonja Feyerabend jemanden bei sich übernachten ließ…
    »Und was wollten Sie in der Pension?«, fragte Nicole Sorek.
    »Die haben einen wunderbaren antiken Schrank, den wir unbedingt für eine neue Produktion haben wollen«, sagte Melanie Graf und sperrte den Saab auf.
    »Was ist das für eine Produktion?«
    »›Der Hirschgarten‹ nach Anton Tschechow.« Sie stieg ein.
    »Der ›Hirschgarten‹?« Nicole holte ihr Handy heraus und tippte eine Nummer ein. »Heißt das Stück nicht ›Der Kirschgarten‹?«
    »Ja«, sagte Melanie, »es ist ja auch nach Tschechow. Auf

Weitere Kostenlose Bücher