German Angst
an ihre Erfolge und wünschte, ihr Vater würde noch leben und sehen, was aus ihr geworden war, seit sie ihn am Deininger Weiher mit einem hölzernen Mikrofon interviewt und zu den Problemen des Forellenfangs befragt hatte. Damals war sie sieben und ihr Vater hatte noch fünf Jahre zu leben. Und oft bestellte sie dann noch einen Raki für den Weg und später im Bett betrachtete sie die alten Fotos, die sie in einer Zigarrenkiste aufbewahrte. Ihr Vater hatte die Kiste für sie aus Kuba mitgebracht, wo er für eine große Reportage recherchierte. Vielleicht hätte sie ihm jetzt, in ihrer Position, sogar eine Anstellung verschaffen können, obwohl er sein Leben lang frei gearbeitet hatte und immer stolz darauf war. Vielleicht hätte sie ihn überreden können, sein Prinzip zu durchbrechen, dann würden sie gemeinsam Sendungen produzieren und Einschaltquoten erzielen wie noch niemand vor ihnen im modernen TV.
»Ich muss Schluss machen«, sagte sie ins Handy und kappte die Leitung. In einiger Entfernung sah sie Melanie aus dem Theater kommen. Die junge Frau überquerte die Klenzestraße und ging zu ihrem Auto. Sie fuhr zur Fraunhoferstraße und bog links ab. Nicole Sorek folgte ihr.
Als Melanie ihren Saab in der St.-Martin-Straße parkte, sich mehrmals umsah und in einer Pension verschwand, rief Nicole ihren Chef an.
»Ich brauch sofort das Team und zusätzlich zwei Kollegen für Interviews und einen Ü-Wagen. Wir senden live!«
In ihrer Aufregung bemerkte sie nicht, dass sie beobachtet wurde.
Sie hatten aufgehört zu zählen, zum wievielten Mal sie die Bemerkung jetzt hörten.
»Da waren doch gestern schon welche von euch da. Ich kenn keinen, der Schreibmaschinen verscherbelt. Ist mir auch egal, weil ich schreib niemand.«
»Die scheinen drauf stolz zu sein, dass sie niemanden haben, dem sie schreiben können«, sagte Paul Weber.
»Ich hab Hunger«, sagte Freya Epp.
»Ich auch.«
»Und warum kaufen wir uns dann keine Wurst da vorn am Stand?«
»Weil ich sonst zu dick werd.«
»Und was ist mit mir? Soll ich zu dünn werden?«
An der Wurstbude am Rande des Flohmarkts, auf dem Hunderte von Händlern ihre Sachen anboten, nahmen zwei Frauen um die fünfzig ihre Schälchen mit Currywurst und Kartoffelsalat entgegen.
»Ich hab mir geschworen, nie wieder so was zu essen«, sagte die eine.
»Heb dir deine Schwüre für was Wichtigeres auf!«, sagte die andere. Sie stellten sich an einen runden Tisch und aßen.
»Entschuldigung«, sagte Weber. Er zeigte ihnen seinen Dienstausweis. Unwillkürlich zuckte eine der beiden Frauen leicht zusammen. »Kennen Sie einen Mann, der ziemlich dick und kahlköpfig ist und seine Waren hier nicht direkt verkauft, sondern sie in einem Katalog anbietet?«
»Nein.«
»Und Sie?«
»Ich weiß nicht.«
Freya brachte eine Portion Gurkensalat für ihren Kollegen und ein Fleischpflanzl mit Pommes frites für sich. Dann ging sie noch einmal zur Theke und holte die zwei Coladosen, die sie dort abgestellt hatte.
»Kann sein«, sagte die eine Frau.
»Guten Appetit!«, sagte Freya. Mit Heißhunger verschlang sie ihr Essen, was Weber neidvoll zur Kenntnis nahm.
»Der Mann soll Rommel heißen«, sagte er zu den Frauen und leckte sich die Lippen, »wie der Wüstenfuchs.«
»Ja, genau!«, sagte die eine. »Der Rundfunk-Rommel! Ja, der arbeitet beim Bayerischen Rundfunk.«
Das Funkhaus lag nur einige Hundert Meter weiter östlich des Flohmarkts.
»Komm!«, sagte Weber zu Freya und machte sich eilig auf den Weg.
»Und mein Essen?«
»Keine Zeit.«
Sie stopfte sich den Rest des Fleischpflanzls in den Mund, kaute und verabschiedete sich grummelnd von den Frauen. In der Halle des Funkhauses zeigte Weber dem Pförtner seinen Ausweis. »Wir suchen einen ihrer Mitarbeiter, Herrn Rommel.«
»Das bin ich.«
»Verkaufen Sie Schreibmaschinen?«
»Warum?«
»Bitte beantworten Sie meine Frage!«
»Ja. Manchmal. Warum?«
»Haben Sie in letzter Zeit eine Olympia US verkauft?«
»Olympia US? Ja. Warum?«
»An wen haben Sie die verkauft?«
»Glauben Sie, ich lass mir von meinen Kunden den Ausweis zeigen? Cash gegen Ware und fertig.«
»Dann müssen Sie uns den Mann beschreiben, der Ihnen die Schreibmaschine abgekauft hat«, sagte Freya Epp.
»An den erinnere ich mich nicht mehr.«
»Wir kriegen das schon hin. Gibts jemand, der die Vertretung für Sie übernehmen kann?«, fragte Weber.
»Eigentlich nicht. Warum? Worum gehts denn überhaupt?«
Eine Stunde später hatte der Dezernatszeichner
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