Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
German Angst

German Angst

Titel: German Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
Vom Netzwerk:
schnell wohin«, sagte er und beeilte sich, aus dem Zimmer zu kommen.
    »Ich kann hier nicht einfach weg!«, sagte der Mann am anderen Ende der Leitung.
    »Du musst!«
    »Wer sind Sie überhaupt, ich hab Ihren Namen nicht verstanden.«
    »Reicht dir das nicht, wenn ich sage, Aktion D? Das ist ein Kameradschaftsdienst, den ich dir hier leiste. Du bist ein Versager, aber es ist besser für alle, wenn du untertauchst. Rossi wird dich umbringen, wenn er erfährt, dass du ihn angelogen hast.«
    »Hab ich nicht.«
    »Du bist vorbestraft.«
    »Bin ich nicht.«
    »Dein Name steht im Polizeicomputer, du Versager!«
    »Woher willst du das wissen? Bist du ein Bulle?«
    »Sperr deinen Laden zu und hau ab!«
    »Ich kann nicht einfach zusperren. Die Leute brauchen ihre Autos zurück, das Geschäft läuft wie blöde, ich mach mich doch nicht verdächtig jetzt.«
    »Verdrück dich nach Polen und bleib dort! Hörst du mir nicht zu, du Arschloch?«
    »Ich kenn Sie überhaupt nicht.«
    »Wenn du dich erwischen lässt, mach ich dich eigenhändig kalt, das garantier ich dir! Ich mach dich kalt, hier in München.«
    »Du bist ein Bulle!«
    »Verpiss dich, Sadlow, das ist deine einzige Überlebenschance!«
    »Scheiße.«
    Nolte hängte ein, verließ die Telefonzelle in der Goethestraße, sah sich um und rannte zurück ins Dezernat.

13   17. August, 09.34 Uhr
    Ü bers Handy blieb sie mit ihrer Redaktion in Kontakt, vor allem mit Dieter Fromm, ihrem Chef, der seit halb acht im Büro war und ununterbrochen Anfragen von Kollegen beantwortete. Nicole Sorek war noch eine halbe Stunde früher aufgebrochen. Zu Hause – sie wohnte in einem renovierten Altbau am Bordeauxplatz, drei Zimmer, Balkon zum Hinterhof, achtunddreißig Programme im Kabel – hatte sie die Pflaster in ihrem Gesicht erneuert und Hals und Nacken massiert. In der Nacht mussten sie improvisieren und es war Fromms Idee gewesen, aus der Senderapotheke sämtliches Verbandszeug zu holen und es um ihren Hals zu wickeln, als hätte sie ein Schleudertrauma. Macht was her, das stimmte, aber sie fühlte sich unbeweglich und hässlich. Jetzt ging es ihr besser und sie ließ den Bühneneingang des Gärtnerplatztheaters nicht aus den Augen. Kurz nach sieben hatte sie mit ihrem Auto gegenüber der Wohnung von Melanie Graf gestanden in der Hoffnung, die junge Frau würde sie direkt zu Christoph Arano führen. Fehlanzeige. Stattdessen stieg Melanie in ihren grünen Saab und fuhr zum Theater, wo sie als Bühnenbildnerin arbeitete. Auch gut. »Ich krieg ihn«, sagte sie mehrmals am Telefon zu Fromm, der sie über die Recherchen der Kollegen auf dem Laufenden hielt. Alle telefonierten kreuz und quer durch die Stadt, versuchten es im Gefängnis, verstellten die Stimme, gaben sich als Verwandte aus, machten einen auf seriös. »Seriosität«, pflegte Nicole Sorek zu Volontären zu sagen, »ist nichts als ein Fremdwort für mich. Ich weiß, was es bedeutet, aber es bedeutet mir nichts.«
    Das war einer ihrer Standardsprüche und sie freute sich jedes Mal, wenn dann ein junger engagierter Mann oder eine ernst dreinblickende junge Frau aufsprang und ein zorniges Plädoyer für den anständigen Journalismus hielt. Hinterher applaudierte die Chefreporterin und sagte, sie respektiere die Meinung und dort hinten sei die Tür, die führe direkt zu einer Menge von Zeitungen und Magazinen, die nach solchen Mitarbeitern lechzten. Hier bei ihr, in der Redaktion von »Vor Ort«, seien sie an der falschen Adresse, hier arbeite man nämlich beim Fernsehen, und zwar beim Privatfernsehen und zudem beim Boulevardfernsehen, und – das betonte sie besonders gern und ohne jede Ironie – sie habe dieses Magazin aus der üblichen Klatsch-und-Tratsch-und-Tod-und-Träller-Ecke herausgeführt und als einen Meinungsmacher im modernen TV etabliert. »Wir reißen Geschichten nicht an, sondern auf«, sagte sie, »wir kochen nicht mit Wasser, wir kochen mit Können, wir meinen, was wir sagen, und wir sagen, was wir meinen.«
    Für ihre Reportage über einen verschwundenen neunjährigen Jungen, den ein Polizist namens Tabor Süden vor dem Selbstmord bewahrt hatte, war sie von den Lesern der größten deutschen Fernsehzeitschrift zur Reporterin des Jahres gewählt worden und bei der letztjährigen Fernsehpreisverleihung hatte ihr Magazin drei Auszeichnungen erhalten. Manchmal, nachts, wenn sie der letzte Gast in dem türkischen Lokal in der Wörthstraße war, unweit ihrer Wohnung, und einen Raki für den Weg trank, dachte sie

Weitere Kostenlose Bücher