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German Angst

German Angst

Titel: German Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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waren verärgert darüber, dass dieses Mädchen sie ständig austrickste und auslachte, weil sie erst dreizehn war und niemand ihr was anhaben konnte. Andere nannten sie ein kriminelles Früchtchen, ein ausgekochtes Luder, ein bösartiges Ausländerkind. Plötzlich fielen ihm diese Formulierungen wieder ein, die er in einer Zeitung gelesen hatte. Und vage erinnerte er sich an einen Bericht, in dem vom Tod von Lucys Mutter die Rede gewesen war, die bei einem Hausbrand ums Leben kam. Wann war das? Er wusste es nicht. War diese Tragödie der Beginn ihrer Karriere als… Räuberbraut? Wer war ihr Vater? Ein Schwarzer, ein Nigerianer.
    Süden schloss die Augen und dachte nach. Arano. War er nicht als Kind nach Deutschland gekommen? Warum? Wegen eines Krieges. Süden war sich nicht sicher, ob er etwas Genaues über Lucys Familie gelesen oder gehört hatte. Arano war ein Flüchtling gewesen und dann hatte er eine Tochter bekommen und dann starb seine Frau. Und er war schwarz, genau wie seine Tochter.
    Süden schlug die Augen auf und die Sonne sprang ihn an wie ein wollüstiges Tier. Anstatt im Büro zu sein, saß er in einem Café und zerbrach sich den Kopf über ein stadtbekanntes Mädchen. Und er musste an Raphael denken, den suizidgefährdeten Jungen, der von zu Hause weggelaufen und dessen Gesicht ebenfalls stadtbekannt gewesen war, sein Foto war in allen Zeitungen gewesen. Als Süden ihn endlich fand, rückten die Reporter an. In regelmäßigen Abständen telefonierte er noch heute mit Raphael. Der Junge wohnte wieder bei seiner Mutter, was für beide ein Glück war.
    Was war ein Glück für Lucy und ihren Vater? Was hatte er, Süden, damit zu tun? Zufällig war er in der Nähe gewesen und hatte das Mädchen vor einem Unglück bewahrt. Hatte er das wirklich? Hätte der Taxifahrer nicht doch im letzten Moment abgebremst? Welchen Grund hätte er gehabt, dieses Mädchen kaltblütig zu überfahren? Das war doch absurd! Pure Einbildung! Er hatte das Auto gesehen, ja, es fuhr schnell, viel zu schnell, aber was bedeutete das? Jeder fuhr in den Dreißigerzonen zu schnell, das war normal wie Falschparken oder rechts Überholen. Er war einfach losgerannt, hatte das Mädchen gepackt und zu Boden geworfen. Wie Superman. Was hatte ihn bloß getrieben? Was wollte er damit beweisen? Wer bin ich denn, dass ich mir anmaße Schicksal zu sein? Diese Lucy, die ist doch nicht blind, die hat das Taxi gesehen, die wäre von allein zur Seite gesprungen, garantiert wäre sie das, die hätte mich nicht dazu gebraucht, die braucht keinen staatlich geprüften Helden wie mich, wieso hab ich das getan?
    Er stand auf, legte den Kopf in den Nacken und schloss wieder die Augen.
    Verdattert schauten die Leute hin.
    Er bewegte sich nicht. Schlaff hingen seine Arme an ihm herab und er atmete mit offenem Mund die warme Luft ein. Die grelle Sonne ließ seine Haare heller erscheinen und sein weißes Hemd, dessen Ärmel er hochgekrempelt hatte, blendete fast.
    Mit seinen Gedanken reiste Tabor Süden auf einen Berg, weit außerhalb der Stadt. Von diesem Berg blickte er auf einen grünen See, über dessen Oberfläche geschmeidig Wellen glitten, unaufhörlich, in einem gleichmäßigen, federnden Rhythmus. Von diesem Ort ging eine Kraft aus wie von keinem sonst, dies war die geheime Stelle, an der sein Leben und sein Tod eins waren und die er aufsuchte, wann immer die Monomanie seines eitlen Selbst ihn quälte und lahmte. Sekundenlang verweilte er dort, ohne Hast und Geheul, und war dabei nichts als ein vorübergehender Schatten in einer zeitlosen Landschaft. Sobald er zurückkehrte, lachte er laut und klatschte in die Hände wie ein übermütiges Kind. Er hörte nicht mehr auf zu lachen. Die Bedienung winkte ihren Chef herbei, der nach draußen eilte und den Kopf schüttelte. Auf dem Hohenzollernplatz blieben die Leute, die von der U-Bahn oder aus dem Supermarkt kamen, verblüfft stehen und hörten zu.
    Laut und heiser donnerte das Lachen über den Platz. Und endete schlagartig.
    Ohne sich um sein Publikum zu kümmern, zog Süden seine Lederjacke an und ging zur Bedienung, um zu bezahlen. Er griff in die Innentasche der Jacke und die Tasche war leer. Der Lederbeutel mit dem Geld war verschwunden. Lucy hatte ihn bestohlen. Sie hatte ihm hundertsiebzig Mark geklaut.
    »Suchen Sie was?«, fragte die Bedienung.
    In den Büros der Vermisstenstelle herrschte ein Stimmenchaos wie in der Börse. Bis auf Volker Thon, den Leiter der Abteilung, und Südens Kollegen Weber

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