German Angst
Goethestraße schien. Wegen der Straßengeräusche, die unerträglich laut bis in den zweiten Stock heraufdrangen, waren die Fenster geschlossen. Süden genügte es, nahe den Scheiben zu stehen. Mit leicht geöffnetem Mund lehnte er an der Wand, drückte die Hände flach gegen sie und bildete sich ein, das milde Licht auf den Lippen zu schmecken. Vermutlich hätte Thon ihn aus dem Zimmer geworfen, wenn er geahnt hätte, dass sein Hauptkommissar den Geschmack des Lichts seinen kriminalistischen Ausführungen vorzog.
»Der Vater«, sagte Thon, hielt inne, überlegte kurz, ob er Süden auffordern solle sich hinzusetzen, und sprach dann weiter, abwechselnd zu Sonja und Weber. »Der Vater ist die Schlüsselfigur. Er hat das Hotel gegründet und ist davon überzeugt, dass die Wagner-Frauen sein Renommee schädigen. Und dass sie nicht wirtschaften können und keine Ahnung von modernem Management haben. Tatsächlich sieht es so aus, als schramme das Hotel seit längerem knapp am Rande der Pleite entlang. Wie ihr wisst, gibt es drei weitere Betriebe, einen in Düsseldorf, in Hannover und in Kiel. Die laufen wohl alle so lala, trotzdem ist geplant, noch ein Hotel in Leipzig zu eröffnen. Katharina ist dagegen, behauptet der Alte und das bringt ihn auf die Palme. Susan dagegen findet die Idee großartig und wäre bereit, zusammen mit ihrem Zukünftigen die Leitung zu übernehmen. Übrigens ist Katharina nicht die leibliche Tochter vom alten Felt.«
»Wie viel hat Katharina angeblich von diesem Sperrkonto abgehoben?«, fragte Weber und schrieb, wie er das in jeder Besprechung tat, einzelne Wörter und ganze Zitate auf einen kleinen Block. Es war ein Spleen von ihm, manchmal notierte er sogar seine eigenen Worte, wenn er etwas gesagt hatte, was er für wichtig hielt, und setzte seinen Namen darunter. Bestimmte Dinge versäumte er aufzuschreiben und dann vergaß er sie schnell.
»Eine halbe Million«, sagte Thon, sah Süden an und bemerkte, dass dieser auf ihn herunterschaute. »Bitte setz dich, Tabor!«
»Gleich.«
Thon griff zu dem grünen Päckchen mit den Zigarillos, nahm einen heraus, steckte ihn in den Mund und sog daran. Bei sämtlichen Besprechungen herrschte Rauchverbot, Sonja hatte es irgendwann in der Runde beantragt, und zur Überraschung von Thon und allen anderen Rauchern war eine Mehrheit dafür gewesen. Seither kaute er demonstrativ auf einem Zigarillo, wenn er Lust hatte zu rauchen.
»Katharinas Mutter hat sie mit in die Ehe gebracht. Der Vater war ein Student, der sich aus dem Staub gemacht hat.« Thon blätterte in seinem Notizheft mit dem schwarzen Ledereinband, den er regelmäßig polierte.
»Jedenfalls heirateten August Felt und Eva Wagner und bauten ihr Hotel auf. Später stieg Katharina mit ein. Die Ehe ging übrigens nicht gut.«
»Zu viel Arbeit, zu viel Außenwelt, zu wenig Intimität«, sagte Weber und kritzelte etwas auf seinen Block. Sonja stutzte. Thon ging nicht drauf ein.
»Inzwischen hatten sie vier Hotels aus dem Boden gestampft, gemeinsam mit Partnern, aber Felt war immer noch der Chef. Er ließ sich scheiden und seine Frau war einverstanden. Sagt er. Sie sollte weiter im Hotel arbeiten und ihr Auskommen haben. Kurz nach der Scheidung hatte Felt einen Zusammenbruch und es sah so aus, als würde er sterben. Er trank zu viel und schluckte Tabletten und Aufputschmittel. Und weil er nicht wollte, was ja verständlich ist, dass sein Besitz unter die Räder kommt, setzte er seine Exfrau wieder als Erbin ein und bestimmte, dass ihr Name ins Logo kommt. Seither heißt es Felts Hotel Wagner.«
»Aber er hat überlebt«, sagte Sonja. Auch sie hatte mit dem alten Felt gesprochen und er hatte ihr nichts erzählt, praktisch und faktisch nichts. Offenbar redete er nicht mit Untergebenen, sondern nur mit Vorgesetzten, mit männlichen Vorgesetzten. So schätzte sie ihn ein. Und wer einmal von Sonja eingeschätzt worden war, der hatte es schwer, sein Bild bei ihr zu korrigieren.
»Meiner Meinung nach bereut er heute seine Entscheidung von damals. Er ist Mitte sechzig und verbittert. Er ist nicht mehr in der Geschäftsführung und wie die Kollegen herausgefunden haben, sollen die drei Hotels in Norddeutschland an eine amerikanische Kette verkauft werden, und zwar bald. Was mit der Münchner Dependance passiert, ist unklar. Felt behauptet, Katharina will sich absetzen, deswegen hat sie das Geld abgezockt. Und er behauptet, ihre Helfershelferin sei nicht ihre Mutter, obwohl sie, wie er sagt, sicher etwas
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