German Angst
Redens, zu viel des Zuhörens, zu viel des Gesehenwerdens, dann würde sie sich verabschieden und ungesehen freudig weiterziehen.
In diesen Minuten empfand sie ein Glück, von dem sie wohl wusste, dass es lächerlich war und ein Hohn im Angesicht der Wirklichkeit, die sie gefangen hielt. Und doch bekam sie auf einmal wieder Luft und sie fror und schwitzte nicht mehr erbärmlich, sie trug auch kein zerrissenes Kleid mehr, ihr Körper war nackt, von purer Sonne bedeckt, geschmeidig wie Seide, und in ihrer Umarmung lag wie selbstverständlich und nie vermisst Christoph Arano. Seine Blicke befeuerten sie. Sie waren zusammen, sie waren zu zweit, und da war niemand, der sie verachtete, niemand, der ihnen die Nähe missgönnte, niemand, dem sie Erklärungen schuldig waren, niemand, der in ihrer Umgebung nichts verloren hatte. Schwerelos gehörten sie einander und die Zeit hatte keine Bedeutung. Sie stürzte. Da war ein Geräusch. Zuerst war es weit entfernt, sie dachte, vielleicht rauscht ein Komet heran, und hielt Ausschau nach ihm. Und weil sie nichts sah, bekam sie es mit der Angst. Wieder diese alte Angst, und dann stürzte sie tiefer: ein Geräusch an der Tür.
»Wach auf!«, sagte jemand.
Und sie fiel. Die Sonne verwandelte sich in einen Klumpen Schatten und der löste sich auf. Wo ist er jetzt? Sie war schon nicht mehr ungesehen. Sie spürte einen Schlag.
»Wach auf! Du kriegst Besuch.«
Wie von Fingern gesprengt, sprangen ihre Augenlider auf, sie musste hinsehen, sie hatte keine Wahl. Der Mann mit der Wollmütze über dem Kopf stand vor ihr und schnaubte: »Ich hab dir nicht erlaubt zu schlafen. Weißt du, wie spät es ist?«
Er beugte sich über sie. Die Haut seiner flatternden Lider war grau, genau wie seine Augen. Natalia schaute an ihm vorbei zur Tür, durch die ein Streifen Licht hereinfiel, weißes Küchenlicht.
»Ich will, dass du genau zuhörst, was der Mann, der dich besuchen kommt, dir sagt. Er ist der Chef, er sagt, was getan wird.«
»H-h-h-h…«, machte sie mit dem Knebel im Mund. Sie wunderte sich über die Laute, sie hatte gedacht, ihre Stimme sei vollständig zurückgeblieben, dort oben in der Ferne, in der Freiheit. Und nun war sie erleichtert, dass es nicht so war.
»Ich verstehe dich nicht, Natalia.«
Der Mann packte ihren Kopf, zog ihn in die Höhe und verband ihr mit einem Geschirrtuch die Augen. »Es sind Dinge passiert, die uns nicht gefallen, also mach du nicht auch noch Schwierigkeiten! Du bist eine gute Frau, und unser Chef hat Achtung vor deinem Mut. Enttäusch ihn nicht!«
Dann drehte er sich um und ging hinaus. Sie lag wieder im Dunkeln. Sie roch die schwere Erde. In meinem Grab, dachte sie, steht ein Bett. Sie lächelte, aber das Lächeln blieb unter der Haut verborgen.
Nach der Pressekonferenz, während der Funkel von neuen Spuren und Erkenntnissen gesprochen hatte, ohne Details zu nennen, und die Journalisten gebeten hatte, bei der Suche nach Mike Sadlow und dem roten Nissan Primera mitzuhelfen, wurde er auf dem Flur von Nicole Sorek abgepasst.
»Ich möchte mit Ihnen sprechen«, sagte sie. Sie trug eine Brille, damit man ihre geschwollenen Augen nicht sah, und hatte ein weißes Pflaster im Gesicht.
»Wir haben alles gesagt, was es im Moment zu vermelden gibt.«
»In unserer Sendung findet keine Fahndung statt, Herr Funkel, und wir haben die höchste Einschaltquote von allen Magazinen.«
»Ich denke, wir lösen den Fall auch ohne Sie«, sagte Funkel, kratzte sich an der Oberkante seiner Augenklappe und ging weiter.
»Ich weiß, dass Sie Christoph Arano in dieser Pension versteckt gehalten haben. Ich will ein Interview mit ihm. Sie geben die Erlaubnis und wir organisieren die größte Fahndung, die je im deutschen Fernsehen gelaufen ist.«
»Nein.«
»Sie müssen mit uns zusammenarbeiten, Sie brauchen uns!«
Sie stellte sich in die Tür zu seinem Vorzimmer. Funkel fand, sie sah komisch aus mit diesem Pflaster auf ihrem sorgfältig geschminkten Gesicht. »Sie wissen, wie die Stimmung in diesem Land ist. Die Leute wollen, dass Arano und seine Tochter ausgewiesen werden…«
»Das ist Schwachsinn, Frau Sorek.«
»Ich verrat Ihnen was, ich bin gegen die Ausweisung, ich bin total dagegen, aber um meine Meinung gehts nicht. Ich bin Reporterin, ich berichte, ich zeig die Wirklichkeit…«
»Indem Sie heimlich eine Kamera mitlaufen lassen und dieses Mädchen provozieren! Ihre Methoden sind armselig und ungesetzlich. Hören Sie auf, sich anzulügen, Frau Sorek! Sie
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