German Angst
wollen, dass möglichst viele Leute Ihre Sendung sehen, das ist alles. Was Sie zeigen, ist Ihnen vollkommen egal, Sie manipulieren die Wirklichkeit, Sie motzen sie auf und biegen sie so hin, dass Ihren Zuschauern der Sabber aus dem Mund läuft. Wenn Sie uns bei unseren Ermittlungen nicht helfen wollen, dann lassen Sie es!«
»Die Zeiten haben sich geändert, Herr Funkel«, sagte sie. »Das Fernsehen ist kein Mülleimer mehr, den wir Ihrer Meinung nach über den Zuschauern auskippen, um sie mit Dreck zuzusauen. Es ist umgekehrt, die Leute kommen zu uns und leeren ihren Dreck bei uns ab und wir, wir versuchen den Dreck zu recyceln, wir versuchen was draus zu machen, irgendwas Ansehnliches, und die Leute sind uns dankbar dafür. Wir sind eine Dienstleistungsinstitution, wir sind der Zufluchtsort der orientierungslosen Massen, bei uns finden sie ein Zuhause, wir verachten sie nicht, wir geben ihnen die Möglichkeit zu sprechen, wir hören ihnen zu, wir machen sie zu jemand. Sie sind im Fernsehen, also existieren sie, sie haben plötzlich eine Identität, sie sind beweisbar. Wir sind eine Art Purgatorium, wenn Sie wissen, was ich meine.«
»Ich bin katholisch und Sie sind durchgeknallt, Frau Sorek«, sagte Funkel. »Ich muss jetzt weiterarbeiten.«
»Ich will ein Interview mit Christoph Arano, ich möchte, dass er einen Appell an die Entführer richtet, damit sie seine Verlobte freilassen. Nur er selber kann die Stimmung, die draußen herrscht, noch kippen. Die Leute kennen ihn nicht, sie wissen nur, dass er schwarz ist und eine kriminelle Tochter hat. Wenn er zu ihnen spricht, werden sie eine andere Einstellung zu ihm bekommen, ihr Hassobjekt verwandelt sich in einen Menschen aus Fleisch und Blut, der Angst um seine Liebe hat. Und vorher möchte ich ein Gespräch unter vier Augen mit ihm, und ich verspreche Ihnen, Sie dürfen das Interview sehen, bevor wir es senden. Ich möchte mit Ihnen zusammenarbeiten, zu meinen Bedingungen.«
»Abgelehnt«, sagte Funkel und wartete, dass sie ihn vorbeiließ. Sie blieb unter der Tür stehen. Auf dem Flur näherten sich Thon, Weber, Freya Epp und weitere Polizisten.
»Das ist eine Chance«, sagte sie, »die Kidnapper sind geistesgestörte Leute, die bringen die Frau um. Sie müssen Arano die Möglichkeit geben, sich öffentlich zu äußern, nicht wegen der Entführer, sondern wegen der Leute, die für die Ausweisung sind. Die sitzen auch in den Behörden, irgendjemand muss die Ausweisung unterschreiben und der wird es tun, wenn er das Gefühl kriegt, die Polizei schafft es nicht, Natalia zu befreien. Ich bitte Sie, Herr Funkel!«
»Was wollen Sie noch hier?«, fragte Volker Thon.
»Ich habe Ihrem Chef ein Angebot gemacht«, sagte sie und trat zur Seite. »Und ich glaube, er wird darauf eingehen.« Sie nickte Funkel zu und ging.
»Was für ein Angebot?«, fragte Thon.
Funkel nahm ihn, Weber und Freya Epp, von der die drei Männer überzeugt waren, dass sie garantiert kein Maulwurf war, mit in sein Büro. Dort erzählte er ihnen von Nicole Soreks Idee.
»Nein!«, sagte Thon sofort.
»Die Idee ist gut«, sagte Weber, »ich hab auch schon dran gedacht, aber dazu brauchen wir diese Journalistin nicht.«
»Meinen Sie wirklich, dass die Entführer so ein Appell beeindruckt?«, fragte Freya.
»Nein«, sagte Funkel. »Es geht um die anderen, um die, die was zu sagen haben, Staatsanwalt Ronfeld zum Beispiel.«
»Bitte?« Abrupt drehte Thon den Kopf.
»Lasst uns eine halbe Stunde drüber nachdenken«, sagte Funkel.
»Wir machen hier Polizeiarbeit«, sagte Thon, hielt inne und sprach dann mit kalter Stimme weiter. »Wir ermitteln, wir treffen keine Entscheidungen außerhalb unserer Befugnisse. Ich weigere mich, mir den Gedanken in den Kopf pflanzen zu lassen, dass es von mir abhängt, was mit Arano geschieht, das ist nicht mein Job. Mein Job ist es, die entführte Frau aus den Fängen ihrer Kidnapper zu befreien. Mehr nicht. Und ich finde, wir sollten uns alle darüber klar sein, dass wir in diesem Fall vermutlich nicht die letzte Entscheidungsbefugnis haben. So wie wir sonst einen Durchsuchungsbefehl oder einen Haftbefehl beim Richter beantragen müssen, so sind wir auch jetzt nur ausführendes Organ; vielleicht solltest du als Leiter der Soko in der nächsten Besprechung wieder mal darauf hinweisen. Mir sind im Moment zu viele Meinungen in diesem Haus unterwegs, egal, aus welcher Ecke. Und was die Geschichte mit Arano vor der Kamera angeht, ich bin strikt dagegen, aus dem Grund,
Weitere Kostenlose Bücher