German für Deutsche
Lückenbüßer«, » Machtwort«, »Herzenslust« oder » wetterwendisch« haben noch heute ihren markanten Platz im heimischen Sprachgeschehen.
4 Martin Luther: Sendbrief vom Dolmetschen, 1530.
Ein reinrassiger Deutschsprecher war Luther trotz aller Eindeutschungsbemühungen aber keineswegs. Es war ihm gar nicht möglich, denn Deutsch als normierte Sprache existierte nur in Ansätzen. Luther war in einem Dialekt zu Hause, kannte und fürchtete die anderen Sprachtönungen des Deutschen, beherrschte sein Latein und schuf neu, was ihm nötig erschien. Was bei Luthers Tischreden an pragmatischem, also situativ angepasstem Sprachgemisch herauskam, dürfte heutigen Deutschtümlern quer im Hals zu liegen kommen: » Bellum nimbt simpliciter als hin weg, was Got geben kann, religionem, politiam, coniugium, opes, dignitatem, studia, etc.« Das ähnelt in seiner Sprachmixtur doch stark dem Slang eines heutigen Internet-Foren-Jüngers.
Fleißiger Wortschöpfer war auch Joachim Heinrich Campe (1746–1818), der sich als Schriftsteller, Sprachforscher und Verleger betätigte. Der Aufklärer verstand sich als Sprachpädagoge. Er wollte, dass » die unserer Sprache aufgedrungenen fremden und fremdartigen Wörter und Redensarten … nicht bloß erklärt, sondern zugleich auch verdeutscht, d. i. durch echtdeutsche Ausdrücke … so viel wie möglich ersetzt werden«. 5
5 Joachim Heinrich Campe: Wörterbuch zur Erklärung und Verdeutschung der unserer Sprache aufgedrungenen fremden Ausdrücke. Ein Ergänzungsband zu Adelungs Wörterbuch. Zweite, verbesserte, und mit einem dritten Band vermehrte Auflage. Graz 1808; Aus der Vorrede von 1800; Download unter: archive.org/stream/wrterbuchzurer00campuoft#page/n5/mode/2up
Für über 1 1 000 vor allem aus dem Lateinischen und Französischen entlehnte Wörter erfand Campe Verdeutschungen, von denen einige Hundert bis heute überlebt haben. » Bittsteller« und » Erdgeschoss«, » Einzahl« und » Feingefühl«, » Randbemerkung« und » Zerrbild« – es sind die Kopfgeburten eines Sprachverbesserers, der in der glücklichen Lage war, seine Buchprojekte in der Blütezeit deutscher Hochkultur in Umlauf bringen zu können. Da existierte noch Leitkultur, die sprachprägende Wirkung hatte. Immun gegen Frankophones war auch Campe nicht. Aus französisch délicatesse machte er die deutsche Delikatesse, die zu seinen Lebzeiten aber das rücksichtsvolle Zartgefühl und noch nicht die feinschmeckerische Speise meinte.
Auch der Autor einer über weite Strecken immer noch lesenswerten Deutschen Stilkunst, Eduard Engel (1851–1938), hat sich an die systematische Vertreibung fremdländischen, hier: französischen, Sprachgutes begeben: »› Lasset uns von aller Befleckung des Geistes uns reinigen.‹ (2. Kor., 7, 1). Und der deutsche Schreiber mit sprachlichem Kunst- und Ehrgefühl, der durch lebenslange Verbildung und Entwöhnung fest im Welsch haftet, sich aber von dieser entwürdigenden Natur- und Kunstwidrigkeit befreien und zu reiner, edler Ausdrucksform emporläutern will, soll liebreich Hilfe finden, so reich, wie ich sie zu bieten und der im Kriege verteuerte Raum sie zu gestatten vermag.« 6
6 Eduard Engel: Entwelschung: Verdeutschungswörterbuch für Amt, Schule, Haus, Leben. Leipzig / Hesse & Becker 1918; Download unter: www.archive.org/details/sprichdeutschein00engeuoft
Engel verfing sich, unpolitisch, aber gerade daher von Ideologie umso naiver infiziert, in national-euphorischen Schrullitäten. 1918 erschien » im vierten Jahr des Weltkriegs ums deutsche Dasein« ein Bändchen namens Sprich Deutsch! Ein Buch zur Entwelschung. Dort fiel über » rasieren« der Bannspruch; » abzubarten« sollte an seine Stelle treten.
Was leisten Verdeutschungsbemühungen heute? Wenig, und daher muten sie naiv an. Eine deutsche Nationalsprache samt passender Nationalliteratur ist bereits um 1750 nahezu ausgeformt. Die großen Wörterbuchprojekte von Johann Heinrich Campe und Johann Christoph Adelung, die um 1800 abgeschlossen sind, hatten normierende Wirkung, weil deutsche Sprache noch nicht systematisch und historisch hinreichend erfasst war. Die normierende Wirkung basierte weniger auf dem normierenden Anspruch der Verfasser, sondern auf dem Bedürfnis von Institutionen und Politik, Sprache als nationales Werkzeug sicher nutzen zu können.
Was im 19. Jahrhundert an Spracherrettungsprojekten auftritt, zeichnet sich bereits durch schrullige Konservativität und – manchmal unbewusste –
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