German für Deutsche
Kehrtwende zu fahren. Ernst Hinsken, CSU -Bundestagsabgeordneter, hatte sich öffentlichkeitswirksam über » Kiss & Ride« beschwert. Das war der Bahn-Name für eine von ihm angeregte neue Kurzparkzone in seiner Heimatstadt Straubing. Bahn-Chef Grube versprach daraufhin, seine Bahnwortschöpfer zu mehr Deutsch zu bekehren. War das nötig? Herrn Grubes Image- und Marketingberater werden es ihm empfohlen haben.
Zugegeben: Mit » Kiss & Ride« hatte die Bahn übertrieben. Vor allem wegen der Doppeldeutigkeit des englischen to ride. » Mehr Spaßkultur bei der Bahn!« hatte da wohl ein Entscheider gedacht. Aber nicht in Straubing und bei Herrn Hinsken. Die Bahn muss gesamtdeutsche, anspielungsferne Grundtöne beim Wording treffen. Dumm nur, dass bei solchen Empörungsschüben zu sehr nachgegeben wird. So fiel auch der Fahrraddienst » Call a Bike« dem germanophilen » das Mietradangebot der Deutschen Bahn« zum Opfer. Schade um den griffigen Anglizismus. Man sollte als Unternehmen differenzieren, auch angesichts von niederbayerischen Wutbürgern mit Volksmandat.
Was ist überhaupt ein Anglizismus?
Ein Anglizismus ist ein Wort, das aus dem Englischen stammt und plötzlich in einer anderen Sprache ähnlich wie ein dort einheimisches Wort genutzt wird. Wer also viele Anglizismen benutzt, spricht kein Englisch, sondern eine mit englischen Wörtern durchsetzte Muttersprache. Alle westlichen Sprachen kennen Anglizismen, da sowohl das britische – seit langem – wie das amerikanische Englisch – vor allem seit dem Zweiten Weltkrieg – einen starken kulturellen Einfluss auf Kolonien hatten und auf industrialisierte Länder haben.
Anglizismus als Oberbegriff bezeichnet den gesamten Einfluss des Englischen auf andere Sprachen. Der wird zwar hauptsächlich auf der Ebene einzelner Wörter deutlich, aber auch Redewendungen oder Beugungsformen sind betroffen. So finden sich bei uns zunehmend aus dem Englischen übernommene Verben, deren Partizip mit dem im Englischen üblichen » -ed« gebildet wird. Ein Whiskey ist dann blended; » verschnitten« liefert nun mal die unschöneren Assoziationen. Und Wendungen, wie » in der Pipeline haben«, demonstrieren, wie das Deutsche englische Wörter und Satzbaumuster in neue Sprachbausteine integriert.
Die Sprachwissenschaft oder Linguistik (lat. lingua: » Sprache, Zunge«) unterscheidet eine Reihe von Anglizismenarten. Dieses Buch kümmert sich im Kern nur um den auffälligsten Typ: die Wortentlehnung. Dabei bleibt der englische Ursprung des Wortes kenntlich. Die Schreibweise ändert sich nicht oder wenig. Die Aussprache ist den Regeln des Englischen verpflichtet. (Was wenig heißt, wenn die Sprecher des Englischen nicht sonderlich mächtig sind.)
Anglizismen aus dem amerikanischen Sprachraum werden auch Amerikanismen genannt. Sortieren wir grob: Bis zum Zweiten Weltkrieg sind Anglizismen eher britisch, danach mehrheitlich amerikanisch. Der Kontext (Popmusik, Filmgeschäft, Computertechnik) macht die Herkunft überdeutlich. Auf diese kulturellen Ursprünge gehen die meisten Wortartikel ein. Zwischen Amerikanismen und Anglizismen unterscheide ich aber nicht.
Lehnübersetzungen sind in diesem Band auch ausgeklammert. Sie geben keine Verständnisprobleme, höchstens Stilprobleme auf. » Sinn machen« ist eine Lehnübersetzung von engl. to make sense. Daher kommt es nicht im Wörterbuchteil vor, sondern nur in einer der kleinen Sprach-Demontagen, die ich weiter hinten in dieser Einleitung präsentiere.
Was mich ebenfalls nicht interessiert, ist die Unterscheidung von » Bedürfnislehnwörtern« und » Luxuslehnwörtern«. Über solche Unterschiede redet eine Sprachwissenschaft, die Normen setzen will. » Luxuslehnwörter« sind danach Wörter, für die es ein deutsches Synonym gibt. Die Charakterisierung als Luxuslehnwort versteckt eine moralisierende Wertung: Luxus sollte man sich nicht erlauben. Und unnötigen schon gar nicht. (Eine besonders unsinnige Unterscheidung.) » Airport« wäre demnach ein unnötiges Luxuslehnwort. Wir haben bereits den » Flugplatz« und den » Flughafen«, der wiederum bereits eine Lehnübersetzung von engl. airport darstellt. Das soll gemäß den Kritikern der Luxusentlehnungen ausreichen. Aber wenn es jemandem nicht reicht? Dem Übersetzer eines amerikanischen Krimis? Dem Journalisten, der einen Flughafenreport zu schreiben hat und dem von seinem Textchef eingetrichtert wurde, dass Wortwiederholungen aus Stilgründen zu vermeiden sind? Gerade er
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