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Germania: Roman (German Edition)

Germania: Roman (German Edition)

Titel: Germania: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Gilbers
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Vogler machte sie einen starken Eindruck. Während er zuhörte, wurde er aschfahl. Zuerst schien er Mühe mit dem Sprechen zu haben, doch dann schluckte er und brachte ein heiseres »Jawohl« hervor.
    Benommen nahm Vogler den Kopfhörer ab. Ein unkontrolliertes Zucken in seinem Gesicht verriet Oppenheimer, dass etwas Ungeheuerliches vorgefallen war.
    »Was ist?«, fragte Oppenheimer.
    Vogler reagierte nicht. Hastig polterte er nach oben und rief: »Wo steckt Hoffmann mit dem Auto?«

22
    Mittwoch, 21. Juni 1944 – Donnerstag, 22. Juni 1944
    E s war, als hätten sie die Oberfläche eines fremden Planeten betreten, eine bizarre Landschaft mit lebensfeindlicher Atmosphäre. Doch nach einigem Zögern beschloss Oppenheimer, seinen Augen zu vertrauen. Dies alles musste real sein. Seine Phantasie hätte kaum ausgereicht, um sich ein derartiges Szenario auszumalen.
    Es war ein ausgesprochen heftiger Angriff gewesen. Je näher sie dem Regierungsviertel kamen, umso mehr verdunkelte sich das Tageslicht. Schon bald begegneten ihnen Fahrzeuge, die ihre Scheinwerfer eingeschaltet hatten, um in dem Nebel aus Ruß und Staub etwas erkennen zu können. Dann folgten die ersten Straßenzüge, in denen die elektrischen Straßenlaternen brannten. Auch Hoffmann schaltete schließlich seine Scheinwerfer ein. Er tat sein Bestes, die Voßstraße zu erreichen, aber in dem vorherrschenden Chaos war das ein schwieriges Unterfangen.
    Der Schutt zerstörter Gebäude schnitt ganze Straßen ab, Schnellkommandos blockierten ihren Weg, verzweifelt darum bemüht, die Brände im Keim zu ersticken; Überlebende irrten ziellos umher, während andere ihr Hab und Gut aus den Häusern zu retten versuchten. Die Fahrt durch die zerbombten Straßen glich einem Hindernislauf. Ihr Fahrer versuchte mehrere alternative Routen, doch schließlich musste er kapitulieren und ließ sie aussteigen.
    Als Oppenheimer die Tür öffnete, schlug ihm die heiße Luft der Brände entgegen. Ohne sich bewegt zu haben, begann er zu schwitzen. Er zog seine Jacke aus und hängte sie sich über den Arm. Dann schaute er sich um und registrierte das, was nicht zu fassen war.
    Die Sonne war nur eine milchige Scheibe hinter blauschwarzem Qualm, der auf der gesamten Innenstadt lastete. Obwohl große Hitze herrschte, Häuser in Flammen standen und Funken vom Himmel regneten, war der Boden fußhoch von Schnee bedeckt. Doch selbst in der Düsternis der verpesteten Luft ließ sich erkennen, dass der Schnee keine weiße Farbe hatte. Die olivgrünen Flocken am Boden bestanden aus Staub und Kalkschutt.
    Auch Vogler versuchte vergeblich, sich zu orientieren. »Verdammte Scheiße«, fluchte er. »Wo sind wir überhaupt, Hoffmann?«
    »Wir haben den Kanal bereits überquert. Es kann nicht mehr weit sein. Irgendwo dort vorn müsste die Leipziger Straße sein. Von dort weiter nach links, und Sie kommen zur Reichskanzlei.«
    Vogler schlug die Tür des Wagens zu und blickte die Straße entlang. Das Licht der Straßenlaternen kam gegen den Rauch nicht an. Schon wenige Meter entfernt verlor sich der Weg in der Düsternis.
    »Na, dann mal los«, sagte er zu Oppenheimer und schritt voraus.
    Bereits nach wenigen Minuten begannen Oppenheimers Augen zu brennen. Der schwere Rauch brannte in seinen Lungen. Er dachte daran, dass er jetzt eine der Gasmasken gut hätte brauchen können, die er auf Lisas Drängen hin organisiert hatte, doch dummerweise lagen sie daheim. Während er durch den Staub stapfte und über leere Fensterrahmen stieg, durchsuchte er seine Taschen. Schließlich fand er die Motorradbrille, die ihm Vogler für seine unfreiwilligen Dienstfahrten im Beiwagen spendiert hatte. Er setzte sie auf und blies kurz in den Spalt zwischen Brille und Augen, um den gröbsten Schmutz zu vertreiben, ehe er sie luftdicht andrückte.
    Die Straßen wimmelten von Feuerwehrleuten, SS-Männern, Fremdarbeitern und Häftlingen, die mit letzten Kräften versuchten, die Auswirkungen des Bombenangriffes zu bekämpfen.
    Und dann gab es noch die anderen.
    Die Opfer.
    Mechanisch bewegten sich Ausgebombte durch das Inferno, an ihren Leibern nur Kleiderfetzen und verbranntes Fleisch. »Warum schützt uns denn keiner?«, rief eine Frau. Andere saßen vor ihrer zerstörten Bleibe und waren froh, noch am Leben zu sein, während gleich nebenan Halbwüchsige von der HJ versuchten, die Leichen in Zinkwannen einzusammeln. Ein Mann mit vertrockneten Augäpfeln taumelte ihnen entgegen. Oppenheimer versuchte, nicht hinzusehen, doch

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