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Germania: Roman (German Edition)

Germania: Roman (German Edition)

Titel: Germania: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Gilbers
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auf eine rasche Abwicklung bedacht, oft konnten geringfügige Delikte sogar auf der Stelle verhandelt werden.
    Wer das Pech hatte, vor ein solches Gericht zu kommen, der hatte einen schweren Stand. Laut der Volksschädlingsverordnung konnte praktisch für jede beliebige Tat Zuchthaus oder die Todesstrafe verhängt werden. Dazu genügte es schon, wenn die Tat den Kriegszustand ausnutzte oder das gesunde Volksempfinden verletzte, das der Gesetzgeber jedoch alles andere als klar definiert hatte.
    Als Resultat konnten die Sondergerichte de facto schalten und walten, wie es ihnen beliebte. Fast täglich wurde in den Tageszeitungen von neuen Todesurteilen berichtet. War ein Urteil erst einmal verhängt, konnte dagegen kein Widerspruch eingelegt werden. Allenfalls eine sogenannte Nichtigkeitsbeschwerde war möglich, doch die Aussichten, damit Erfolg zu haben, waren verschwindend gering. Wenn Frau Herrmann wirklich Rassenschande begangen hatte, dann war es mehr als wahrscheinlich, dass sie vor eines dieser Sondergerichte gekommen war. Doch die Anzahl von Frau Herrmanns Vergehen überraschte sogar Vogler.
    »Zwischen 1938 und 1942 stand sie nicht weniger als sechs Mal vor einem Sondergericht«, berichtete er. »Jedes Mal wegen Rassenschande. Sie schien eine Vorliebe für wohlhabende Juden zu besitzen. Es war immer dasselbe Spiel: Sie wurden verpfiffen, angeklagt und verurteilt. Ihre Liebhaber kamen ins KZ, die letzten beiden wurden zum Tod verurteilt. Aber Frau Herrmann, oder Traudel Ruggenbrecht, wie sie damals noch hieß, bekam jedes Mal eine auffällig milde Strafe. Normalerweise hätte sie für ihr Vergehen ebenfalls ins KZ kommen müssen. Tatsächlich bekam sie nur wenige Wochen Gefängnishaft aufgebrummt. Und es gibt keine Hinweise darauf, dass sie ihre Haftstrafen jemals angetreten hat. Sie hat nie ein Gefängnis von innen gesehen. Und was das Geld der reichen Säcke angeht …«
    »Lassen Sie mich raten: Die Besitztümer ihrer jüdischen Liebhaber sind auf wundersame Weise in den Händen von Gruppenleiter Herrmann gelandet, stimmt’s?«
    »Korrekt. Zumindest, soweit wir das überblicken können. Letztes Jahr hat er sie dann geheiratet. Der Beutezug war wohl vorüber.«
    Oppenheimers Mitgefühl für Traudel Herrmann war schlagartig auf dem Nullpunkt angelangt.
    »Das legt nahe, dass Herrmann andere geschmiert hat. Sie haben sich die Vermögen unter den Nagel gerissen, und zwar nach außen hin auch noch halbwegs legal. Ein ertragreiches Geschäftsmodell.« Nachdem er die Akten kurz überflogen hatte, fügte Oppenheimer hinzu: »Wenn ich mir die Adressen der Angeklagten so ansehe, dann scheint sich Frau Herrmann durch die Betten von halb Köpenick geschlafen zu haben. Wir wissen jetzt zumindest, warum der Mörder ausgerechnet sie ausgesucht hat. Die wichtigste Frage ist, wer davon Kenntnis besaß, dass sie speziell Juden verführte.«
    »Sie wird sicher nicht damit geprahlt haben«, erwiderte Vogler. »Um das mitzukriegen, muss der Täter sie häufiger gesehen haben, vielleicht ein alter Bekannter. Sie wohnte die ganze Zeit über in Köpenick, also kann es auch einfach nur ein ehemaliger Nachbar sein. Ansonsten« – Vogler räusperte sich kurz – »ansonsten gibt es noch den Richter, der sie verurteilte. Es war jedes Mal derselbe.«
    Überrascht blickte Oppenheimer nochmals in die Papiere. Voglers Angaben stimmten, die Urteile waren alle von demselben Richter verhängt worden. Je länger er sich damit beschäftigte, desto mehr roch die ganze Angelegenheit nach einer abgekarteten Sache.
    »Wenn meine Vermutungen richtig sind, dann hat der Richter ebenfalls davon profitiert. Das passt nicht zu unserem Mörder. Der Täter verurteilt das Verhalten von Frau Herrmann aufs Schärfste. Wäre er Richter, hätte er sie genauso gut zum Tod verurteilen können, und niemand hätte ihm etwas angelastet, nicht mal ein Gruppenleiter. Allenfalls ein Mitarbeiter des Gerichts käme noch in Frage. Doch aufgrund der großen Anzahl an Verfahren ist es nicht allzu wahrscheinlich, dass einer der Gerichtsdiener Frau Herrmann zwei Mal zu Gesicht bekommen hat oder sich überhaupt an sie erinnern kann. Ich glaube nicht, dass es eine Verbindung zum Gericht gibt.«
    Oppenheimer biss nachdenklich auf das Mundstück seiner Zigarettenspitze. Dann schlug er mit der flachen Hand auf die Tischplatte. »Nein, der Mörder muss zwischen 1938 und 1942 zumindest für eine gewisse Zeit in Köpenick gewohnt haben. Ich gehe darauf jede Wette ein.«
    Eine

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