Germania: Roman (German Edition)
Ateliers und Hörsäle für einen neuen Zweck genutzt. Seit 1939 befand sich hier das Zentrale Amt IV des Reichssicherheitshauptamtes, verantwortlich für Gegnererforschung und -bekämpfung. Weniger bürokratisch ausgedrückt hieß dies, dass sich in diesem Gebäude der Hauptsitz der Gestapo befand.
Gerüchte über dieses Haus schwirrten schon lange durch die Stadt. Man raunte über ein spezielles Gefängnis, in dem einflussreiche Regimegegner eingekerkert waren. Berichte von brutalen Folterungen machten die Runde, die von den Beamten verharmlosend verschärfte Vernehmungen genannt wurden. Und weil niemand so genau wusste, was wirklich hinter diesen Mauern geschah, hatte sich allmählich eine lähmende Furcht breitgemacht, was von der Parteiführung durchaus gewollt war. Es war auffällig, dass keiner der Parteioberen jemals ernsthaft versucht hatte, diese Greuel zu dementieren, denn je schrecklicher in der Bevölkerung die Vermutungen darüber waren, was die Gestapo mit ihren Gefangenen anstellte, umso besser. Schon in den ersten Jahren der Straßenkämpfe hatten die nationalsozialistischen Machthaber verstanden, dass ihnen die Angst in die Hände spielte. Das Bespitzelungssystem, das Göring nach der Machtergreifung mit der Gestapo errichtet hatte, war die konsequente Weiterführung dieses Konzepts.
Dementsprechend fühlte sich Oppenheimer äußerst unwohl in seiner Haut, als ihn Hoffmann an der Ecke zur Prinz-Albrecht-Straße absetzte. Zögernd näherte er sich den mächtigen Steinpfeilern, die das Portal flankierten. Vor ihnen standen zwei Wachsoldaten mit geschulterten Gewehren. Es gab kaum einen Ort auf der Welt, vor dem Oppenheimer einen größeren Abscheu empfand. Außerdem war es für einen Menschen in seiner Lage nicht unbedingt ratsam, dieses Gebäude zu betreten. Doch ihm blieb nichts anderes übrig, wenn er den Fall lösen wollte.
Der Himmel hatte sich zugezogen. Die Regentropfen, die Oppenheimers Fahrt in die Stadtmitte begleitet hatten, wurden kalt und hart. Die Passanten, die sich hastig vor den ersten Hagelkörnern in Sicherheit brachten, blickten ihn fragend an. Oppenheimers Schritte hatten sich verlangsamt. Schließlich stand er schutzlos mitten auf dem Gehsteig und trat von einem Bein auf das andere, da er nicht hineinzugehen wagte. Als ihn einer der Wachsoldaten misstrauisch beäugte, wurde ihm bewusst, welches Bild er abgab. Oppenheimer beschloss, dass es keinen Sinn hatte, länger vor dem Eingang zu verweilen und über die möglichen Gefahren nachzugrübeln. Beherzt erklomm der die Stufen und zog die große Tür auf.
Er betrat die Vorhalle. Rechts von ihm befand sich der Pförtner. »Wo wolln Se hin?«, fragte er.
Die Stimme des Beamten klang nicht feindlich, sondern eher gelangweilt. Trotzdem zuckte Oppenheimer zusammen. »Ich habe einen Termin«, stammelte er schuldbewusst.
»Der gehört zu mir!«, ertönte es aus dem Gebäudeinneren. Vogler gesellte sich zu ihnen. »Hauptsturmführer Vogler. Dies hier ist Richard Oppenheimer. Ich brauche ihn bei der Vernehmung.«
Der Pförtner quittierte diese Erklärung mit einem Schulterzucken und winkte Oppenheimer durch. Hinter der schweren Eingangstür befand sich eine protzige Halle mit geschwungenen Bögen, Stuckornamenten und großen Fenstern, doch Vogler bog nach links in einen langen Korridor ein, der vergleichsweise nüchtern wirkte. »Ziegler ist unten«, sagte er. Nach einigen Metern kam eine Treppe in Sicht. Der Korridor im Keller sah nahezu identisch aus. Nur das Fenster, auf das der Gang oben zulief, fehlte hier unten. An beiden Seiten befanden sich Türen zu den Vernehmungsräumen.
Als Vogler zielstrebig den Gang entlangmarschierte, ertönte in einem der Zimmer ein gedämpfter Schrei. Oppenheimer hielt inne und starrte in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Er musste schlucken, als er sich vorstellte, was wohl gerade hinter dieser Tür vor sich ging.
Ein zweiter Schrei war zu hören. Oppenheimers Schatten tanzte auf dem Boden, als er sich wieder in Bewegung setzte, um dem Hauptsturmführer zu folgen. Vogler wartete bereits vor der Tür eines anderen Raumes.
»Zu Ihrer Information, Herr Ziegler wurde heute früh um fünf Uhr in der Nähe seiner Wohnung festgenommen. Er hat bislang keine Angaben gemacht, warum er zurückgekommen ist. Er war zu Fuß. Von seinem Lieferwagen keine Spur.«
»Hm, er schweigt also?«
»Ich will die Sache so bald wie möglich abgeschlossen haben. Genügend Indizien hätten wir beisammen.
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