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Germania: Roman (German Edition)

Germania: Roman (German Edition)

Titel: Germania: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Gilbers
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Das Beste wäre natürlich ein Geständnis von Ziegler.«
    Oppenheimer wollte widersprechen. Ihm ging das alles viel zu schnell. Es waren noch wichtige Fragen offen. Wo hatte der Täter seine Opfer hingebracht, um sie zu verstümmeln und zu töten? Was bezweckte er damit? Gab es vielleicht eine Möglichkeit, sein Verhalten zu erklären? Oppenheimers Arbeitsethos als Kriminalkommissar gebot ihm, so wenig Fragen wie möglich offenzulassen, und er dachte nicht daran, diese Einstellung jetzt zu ändern, auch wenn ihm Goebbels persönlich im Nacken saß. Doch er hoffte gar nicht erst, dass Vogler dafür Verständnis zeigen würde. Dieser wollte nur Resultate sehen, und zwar möglichst schnell. Deswegen antwortete er: »Mal sehen, was sich machen lässt.«
    Gerade wollte Oppenheimer eintreten, als sich im Korridor die Tür öffnete, hinter der die Schreie zu hören gewesen waren. Mittlerweile war alles wieder ruhig. Ein vierschrötiger Beamter mit hochrotem Kopf trat auf den Gang hinaus. Seine Anzugjacke hatte er über den Arm gelegt. Er schwitzte, fingerte nach einem Taschentuch und wischte sich die nasse Stirn ab. Dann fiel ihm auf seinem weißen Hemd ein dunkelroter Fleck auf. Er fluchte und versuchte, das Blut mit dem Taschentuch zu entfernen. Als er bemerkte, dass er beobachtet wurde, hielt er kurz inne. Er blickte zu Oppenheimer und nickte kollegial. Dann fuhr er erfolglos damit fort, sein Hemd zu reinigen.
    Oppenheimer betrat den Vernehmungsraum. Es war merkwürdig, dass er sich ausgerechnet dort sicher fühlte.

    »Möchten Sie eine Zigarette?«, fragte Oppenheimer und öffnete sein Etui.
    Der doofe Kalle blickte ihn ausdruckslos an, dann beäugte er die weißen Zigaretten. Nicht ein Funke Gier regte sich in seinem Gesicht, eine Empfindung, die angesichts des Mangels an Rauchwaren wohl jeden Raucher überkommen hätte. Oppenheimer entnahm eine Zigarette und bot sie Ziegler an. Kommentarlos griff er danach und steckte sie zwischen seine Lippen. In der letzten halben Stunde, die Oppenheimer mit ihm in dem Zimmer verbracht hatte, war Ziegler vielleicht gerade mal ein Dutzend Worte über die Lippen gekommen. Das war keine gute Voraussetzung für eine Vernehmung.
    Ziegler durchsuchte seine Taschen nach einem Zündholz, doch vergebens. Die SS-Leute hatten ihm bereits alle Gegenstände abgenommen.
    »Möchten Sie Feuer?«
    Ziegler nickte kurz.
    Gemächlich ging Oppenheimer um den Tisch herum und zündete ihm die Zigarette an. Der Stenograph, ein junger Mann von vielleicht zwanzig Jahren, saß in einer Ecke und wartete mit gezücktem Bleistift. Als Oppenheimer Ziegler betrachtete, fragte er sich, was in dessen Kopf wohl vor sich gehen mochte. Es war kaum möglich, es herauszufinden, wenn der Verdächtige nicht redete.
    »Warum erzählen Sie nicht, wo Sie in der vergangenen Nacht gewesen sind?«, schlug Oppenheimer vor. »Ist es Ihnen etwa peinlich?«
    Der doofe Kalle antwortete mit einem Schulterzucken. Oppenheimer hatte es mit der Vernehmungsmethode versucht, die der alte Gennat ihm beigebracht hatte. Er hatte oft die Gelegenheit gehabt zu beobachten, wie Gennat es schaffte, sogar die schwierigsten Fälle zu knacken. Obwohl sein Lehrmeister stets eine gewisse Autorität ausgestrahlt hatte, wurde er bei einer Vernehmung nur selten laut. Mit seiner Körperfülle hatte der Kriminalpolizeirat bei solchen Anlässen stets wie ein Fels in der Brandung gewirkt, ein weiser und einfühlsamer Buddha, dem auch die verstocktesten Kriminellen schließlich ihre Geheimnisse anvertrauten. Und Gennat hatte sich durchaus für die Personen interessiert, die er vernahm. Es ging ihm bei seiner Arbeit nicht nur darum, die Taten aufzuklären, er wollte auch wissen, wie es dazu gekommen war, wollte mit seiner Arbeit Missstände aufdecken, die man bekämpfen konnte. Für damalige Verhältnisse war diese Vorgehensweise sehr gewagt und gleichzeitig bahnbrechend, da Gennat unzählige Erfolge vorweisen konnte.
    Oppenheimer hatte schon als junger Kriminalassistent Gennats vielzitierte Maxime verinnerlicht: Wer einen Beschuldigten anfasst, fliegt! Unsere Waffen sind Gehirn und Nerven! Die Gestapo schien von diesem Motto nicht viel zu halten. Doch nun war es an Oppenheimer, ruhig zu bleiben und das Vertrauen von Karl Ziegler zu gewinnen. Allerdings machte es ihm der doofe Kalle wahrlich nicht leicht.
    »Wissen Sie, wessen Sie beschuldigt werden?«
    Ein leerer Blick.
    »Fünf Frauen sind verstümmelt aufgefunden worden. Sie wurden entführt und dann

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