Germania: Roman (German Edition)
Ihre Hilfe. Jetzt, wo wir den Mörder haben, übernimmt die SS.«
Oppenheimer war zu aufgewühlt, um ihn zu verstehen. »Geben Sie mir eine Stunde. Nur eine. Ich kriege die Informationen aus ihm heraus!«
»Danke für das Angebot, aber wir haben da unsere eigenen Methoden. Warten Sie auf meine weiteren Anweisungen. Ich melde mich, wenn Sie noch etwas für uns tun können.« Damit verschwand Vogler wieder in dem Zimmer.
Oppenheimers Atmung normalisierte sich. Das Pulsieren in seinem Kopf verschwand. Langsam begriff er, dass er bei der Untersuchung keine Rolle mehr spielte. Es war zu Ende, und er hatte zuletzt ein unwürdiges Schauspiel abgeliefert. Langsam wurde ihm klar, was er getan hatte. Um ein Haar hätte er einen Verdächtigen umgebracht. Binnen weniger Sekunden hatte er alles über den Haufen geworfen, an das er jemals geglaubt hatte. Er hatte die Maxime seines Lehrmeisters Gennat missachtet. Er hatte einen Beschuldigten attackiert, um ein Geständnis zu erzwingen. Oppenheimer wusste nicht, ob er sich das jemals verzeihen würde. Was wäre geschehen, wenn Vogler ihn nicht rechtzeitig aufgehalten hätte? Er wagte nicht, daran zu denken.
Durch die Zimmertür hindurch hörte Oppenheimer, wie Vogler damit begann, den Verdächtigen anzuschreien. »Wir haben Zeugen, die Sie gesehen haben, Ziegler!« Offensichtlich pokerte Vogler. Er hatte wohl vor, Kalle so lange mit gefälschten Beweisen unter Druck zu setzen, bis er alles gestand. Oppenheimer hatte gehört, dass dies die Standardmethode der Gestapo war. Doch der SS-Mann kümmerte ihn jetzt nicht, er war mit sich selbst beschäftigt.
Er hatte den Mörder gefangen und gleichzeitig eine große Niederlage erlitten. Benommen stand Oppenheimer im Korridor, zutiefst beschämt über sein eigenes Verhalten.
Er hielt sich an dem glatten Emaillebecken des Waschtischs fest. Es war dunkel. Durch das Fenster, das so eng wie eine Schießscharte war, fiel nur ein schmaler Sonnenstrahl ins Zimmer. Eine große Mutlosigkeit hatte ihn erfasst und war so stark geworden, dass er beinahe glaubte, ihr niemals wieder entrinnen zu können. Er musste sich konzentrieren, musste seine Beherrschung wiederfinden, damit er wieder klar denken konnte. Er wusste nicht mehr weiter. Nur der Glaube an seine Mission hielt ihn davon ab zu kapitulieren.
Bereits im Krieg hatte er Gefallen am Töten gefunden. Doch zu jener Zeit war das nichts Besonderes. Seine Kameraden an der Front hatten schließlich das gleiche Schicksal erlitten. Zurück in der Heimat, hatte es einige Jahre gedauert, ehe er bemerkte, dass er anders war.
Als er in einem Anfall von Raserei die Hure erwürgte, die ihn beim Anblick seines Geschlechtsteils frech ausgelacht hatte, war er noch ahnungslos gewesen. Damals hatte er tatsächlich Panik verspürt, als er begriffen hatte, dass das Weib mit dem grell angemalten Gesicht tot war. Er war aus der Kammer der Dirne geflohen, in der Hoffnung, dass ihn keiner gesehen hatte. Die darauffolgenden Tage mied er sein Zimmer, tauchte in der Stadt unter, war stets auf dem Sprung, wenn er einen Wachtmeister sah. Doch niemand suchte nach ihm, keiner wollte ihn zur Rechenschaft ziehen. Als er sich zurück in seine Wohnstube wagte, bewegte sich das Leben wieder in den gewohnten Bahnen. Und doch hatte sich die Welt für ihn unwiederbringlich verändert.
Er drehte sich um und blickte auf den Wecker. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass die Farbe lange genug eingewirkt hatte, beugte er sich vor und begann, sie aus seinen Haaren zu waschen.
Wenn er so wie jetzt darüber nachdachte, wie umständlich er vorgegangen war, als er das erste Weibsstück umgebracht hatte, musste er fast lachen. Welch ein Amateur war er damals doch gewesen. Unsicher. Furchtsam. Getrieben von einem Drang, den er zunächst nicht verstehen konnte.
Doch nachdem er lange Zeit darüber nachgegrübelt hatte, war der Zeitpunkt gekommen, an dem alles einen Sinn ergab. Mit einem Mal hatte er die Zusammenhänge erfasst und verstanden, welche Rolle er selbst dabei spielte. Seitdem war ihm bewusst, dass sich schon vor langer Zeit tief in seinem Inneren etwas eingenistet hatte, das unablässig wuchs, stärker wurde und sich dann mit einem gewaltsamen Ausbruch befreit hatte.
Er trocknete seine gebleichten Haare. Als er das Handtuch beiseitelegte, konnte er nicht anders, als in den Spiegel zu starren. Jetzt ähnelte er wieder der Person, die er sein wollte. Voller Stolz sah er vor sich das todbringende Biest, des Führers wahr
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