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Germania: Roman (German Edition)

Germania: Roman (German Edition)

Titel: Germania: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Gilbers
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gewordene Prophezeiung.
    Nachdem er überprüft hatte, dass auch am Haaransatz seine ursprüngliche Haarfarbe nicht mehr zu sehen war, war er zufrieden. Doch er wusste, dass das Wesen im Spiegel noch nicht vollkommen war. Es war ein ständiger Lernprozess. In den letzten Jahren hatte er schon viele Schritte in die richtige Richtung getan. Und auf eine Fähigkeit war er besonders stolz: auf das feine Gespür, das er entwickelt hatte, um seine Opfer zu finden. Er konnte die Huren auch an Orten entdecken, wo er sie in seiner Naivität zunächst nicht vermutet hatte. Selbst die Ärzte, bei denen er eine Zeitlang in Behandlung gewesen war, hatten sich nicht vorstellen können, wie groß die Gefahr war, die von den Huren ausging. Beinahe war er der einfältigen Dirne dankbar, dass sie ihn ausgelacht und seinen Argwohn geweckt hatte.
    Er hatte die vier abgeschnittenen Arme vor die Reichskanzlei gelegt, um eine Reaktion zu provozieren. Doch die hatte dann anders ausgesehen, als von ihm erwartet. Nun waren die Rollen vertauscht. Er selbst war zur Beute geworden. Diese Lakaien von der SS verfolgten ihn wie einen Verbrecher. Sie wollten ihn ausschalten. Keine Frage, die Situation war ernst.
    Er ging zur Tür, blieb jedoch schon nach wenigen Schritten stehen. Einem inneren Drang gehorchend, näherte er sich den Weckgläsern, die penibel auf einem Regal aufgereiht waren. Er hoffte, bei ihrem Anblick eine Bestätigung zu spüren, aber der Zweifel hatte längst wieder von seinem Herzen Besitz ergriffen. Er wusste nicht, ob er trotz all seiner Fähigkeiten in der Lage war, auch weiterhin seine Mission zu verfolgen. Der nächste Schritt musste sein, sich auch ohne Kalles Hilfe zurechtzufinden.
    Er tadelte sich selbst dafür, dass er so naiv gewesen war, auf einen Idioten wie Kalle zu vertrauen. Doch er war nützlich gewesen, übernahm freiwillig die Arbeiten, vor denen er selbst zurückscheute. Ohne Kalle wäre es nicht so einfach gewesen, sich vor dem verseuchten Blut der Huren zu schützen. Kalle hatte keine Furcht davor, das Geschlechtsteil der Weiber aus ihren Körpern herauszutrennen und in Salzlösung einzulegen. Er wusste, dass sein Helfer nicht an dieselben Dinge glaubte, und er hatte es auch nicht für angebracht gehalten, ihn aufzuklären. Kalle war alles egal, solange er seine Spielchen mit den Weibern treiben durfte.
    Und jetzt war er fort. Verduftet, einfach so.
    Er lehnte sich gegen die kalte Wand und stellte sich endlich der unvermeidlichen Frage. War all seine Arbeit umsonst gewesen? Um sich Mut zu machen, blickte er nochmals zu den Weckgläsern hinüber. Doch die bösartigen Geschlechtsteile, die dort eingesperrt waren, schienen bloß tote Fleischstücke zu sein. Er erkannte, dass die Erinnerung an seine Taten verblasste. Aber er brauchte diese Erinnerung, brauchte sie als Bestätigung dafür, dass er nicht untätig war, sondern auch weiterhin den richtigen Weg verfolgte.
    Irgendwo in der Ferne glaubte er das schrille Gelächter der Hure zu hören, doch er wusste, dass es eine Sinnestäuschung war. Er zog die Gasmaske über, die er stets bei sich trug. Unter seinem zweiten Gesicht fühlte er sich geborgen. Nachdem er die Maske befestigt hatte, spürte er, wie seine alte Sicherheit allmählich zurückkehrte. Als er tief durchatmete, war das ferne Lachen verschwunden. Nur noch das scharfe Zischen des Filters war zu hören, und es gab keinen Platz mehr für Zweifel.
    Kühl wog er die Optionen ab. Dass Kalle verschwunden war, bedeutete wahrscheinlich, dass ihn die SS geschnappt hatte. Sie würden ihn verhören, und er zweifelte nicht daran, dass Kalle letztendlich auspackte. Sein Lagerhaus lag zwar versteckt im Wald, doch sicher war er hier nicht mehr. Seine Verfolger konnten jede Sekunde auftauchen.
    Jetzt wusste er, womit er zu rechnen hatte. Ihm war klar, dass er einen Vorsprung besaß. Er konnte in aller Ruhe Vorkehrungen treffen, ehe er sich die nächste Hure schnappte.
    Und dass er seine Aufgabe weiter verfolgen musste, daran gab es für ihn keinen Zweifel. Selbst wenn sie ihn jagten, würde er nicht aufhören, die Huren zu verfolgen. Zu fangen. Zu töten. Es gab noch so viele von ihnen, die bestraft werden mussten. Er konnte jetzt nicht einfach aufhören.
    Wenigstens hatte Kalle seinen Lieferwagen zurückgelassen. Das war viel wert. Nun musste er noch eine Möglichkeit finden, um sich selbst zu schützen, falls ihm jemand auf die Schliche kam.
    Er stellte sich in die Mitte seines Lagerhauses, blickte sich um und

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