Germania: Roman (German Edition)
aufschlussreich. Vogler musste in der Eingangshalle der großen Villa warten, und als Schröder kurz darauf erschien, war er bereits in voller Montur. Nichts ließ sich entdecken, was das Bild des autoritären Vorgesetzten in Frage gestellt hätte. Weder eine verräterische Schnapsfahne noch eine ganz und gar unheldenhafte Strickjacke zeugten davon, dass Schröder so etwas wie ein Privatleben führte. Nur sein sogenanntes Stadthaus war auffällig, da das Innenleben einen ausgeprägt ländlichen Charakter besaß. Nichts erinnerte daran, dass sie sich mitten in der Hauptstadt des Deutschen Reiches befanden. Überall standen rustikale Holzmöbel herum, grob geschnitzt und schwer. Statt Bildern hingen einige Jagdflinten an den Wänden, die mit einem regelrechten Wald aus Geweihen bedeckt waren. Vogler wunderte sich, wo man in Berlin so viele Hirsche erlegen konnte.
Doch je länger er wartete, desto schwerer fiel es ihm, sich auf seine Umgebung zu konzentrieren. Obwohl er den Befehl ausgeführt hatte, nagte in ihm eine gewisse Unruhe. Er versuchte, dies zu ignorieren, und sagte sich, dass es genau das war, was Schröder verlangt hatte. Vogler hatte einen Schuldigen geliefert, der die Partei nicht kompromittierte. Er mochte dabei zwar einige Fakten hingebogen haben, vielleicht waren die Hinweise mitunter ein wenig unvollständig, doch erschütterte dies nicht seine Überzeugung, den Richtigen dingfest gemacht zu haben.
Schließlich legte Schröder das Schriftstück zufrieden beiseite. Dann zog er aus der Innentasche seiner Jacke ein Kuvert hervor und überreichte es Vogler.
»Unsere Pläne bezüglich Ihres weiteren Einsatzes haben sich geändert. An der Westfront brauchen wir dringend Männer. Dies hier ist Ihr Marschbefehl. Morgen früh reisen Sie in Richtung Caen. Dort melden Sie sich bei der neunten SS-Panzerdivision Hohenstauffen. «
Vogler salutierte mit knallenden Hacken. Es war also schon alles vorbereitet gewesen. Schröder hatte den Marschbefehl bereits die ganze Zeit über gehabt. Vogler störte das nicht, da das Resultat besser als erhofft war. Er musste nicht länger mit diesem trüben Zivilistenleben vorliebnehmen. Innerlich atmete er auf. Je schneller es an die Front ging, umso besser.
Vogler hielt die Unterredung damit bereits für beendet und wartete darauf, dass ihn Schröder abtreten ließ. Doch diesem schien noch etwas auf der Seele zu liegen. Ungewöhnlich vertraulich raunte er Vogler zu: »Sagen Sie mal, was hat der Itzig eigentlich bei Reithermann angestellt?«
Beim Namen des fetten Bonzen wurde Vogler hellhörig. »Wie meinen Sie das?«, fragte er.
Schröder machte ein ernstes Gesicht. »Ich habe vom Gruppenführer den ausdrücklichen Befehl bekommen, diesen Oppenheimer aus dem Weg zu räumen, sobald der Fall geklärt ist. Also, was ist vorgefallen?«
»Oppenheimer hat darauf bestanden, den Gruppenführer persönlich zu vernehmen.«
»Und? Jetzt quatschen Sie doch nicht um den heißen Brei herum, Vogler!«
»Er hat ihn gefragt, ob er ein Alibi hat.«
Bei dieser Antwort schien Schröder vor Schreck zu erstarren. Dann begann er, laut zu lachen. »Also dieser Oppenheimer, unbezahlbar.« Er wischte sich Lachtränen aus dem Auge. »Das hat ja noch keiner gewagt. Dafür sollte man ihn fast laufenlassen. Na das hätte ich gern selbst miterlebt.« Als die Heiterkeit verklungen war, setzte Schröder wieder seine undurchdringliche Miene auf. »Er scheint seine Aufgabe ernst zu nehmen?«
»Oppenheimer ist sehr gewissenhaft.«
»Nun, trotzdem, sorgen Sie dafür, dass der Befehl ausgeführt wird. Am besten, Sie kümmern sich persönlich darum.«
»Zu Befehl«, entgegnete Vogler, ohne zu zögern.
Als er durch den Garten zurück zu seinem Wagen schritt und das rhythmische Knirschen der Kieselsteine unter seinen Schuhsohlen hörte, begriff Vogler, welchen Befehl er gerade erhalten hatte. Er sollte Oppenheimer auslöschen. Die ganze Zeit über hatte er nicht einen einzigen Gedanken daran verschwendet, was mit ihm geschehen sollte, sobald die Untersuchung abgeschlossen war. Er hatte sich vorgemacht, dass er ihn jederzeit wieder an den Ort zurückbringen könnte, wo er ihn gefunden hatte. Doch die Dinge waren viel komplizierter als zunächst angenommen, und Gruppenführer Reithermann hatte ihm die Entscheidung abgenommen.
Mürrisch kickte Vogler einen Kieselstein auf den englischen Rasen. Er musste sich eingestehen, dass er diesen Befehl nicht mochte. Schon seit geraumer Zeit hatte er Oppenheimer
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