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Germania: Roman (German Edition)

Germania: Roman (German Edition)

Titel: Germania: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Gilbers
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gegenüber ein Gefühl verspürt, das er nicht so recht deuten konnte.
    Vogler dachte darüber nach, was der Kern ihrer Beziehung war. In den vergangenen Wochen hatte er immer gewusst, dass er sich auf Oppenheimer verlassen konnte. Schließlich kam er aus einer völlig anderen Welt und war Mordkommissar. Die Menschen, die Vogler sonst noch kannte, waren fast alle in der SS und damit potenzielle Konkurrenten. Oppenheimer war ihm ebenbürtig, doch es bestand keine Gefahr, dass er jemals Vogler den Rang streitig machen würde.
    Als sich Vogler hinter das Steuer seines Fahrzeugs gesetzt hatte, ertappte er sich dabei, wie er nach einem Ausweg suchte. Wenn man es genau nahm, verstieß Reithermann gegen den persönlichen Befehl von Goebbels. Doch nein, der Propagandaminister hatte Oppenheimer ausdrücklich nur bis zum Abschluss der Untersuchung in Schutz genommen. Was danach mit ihm geschehen würde, war ihm egal. Minutenlang brütete Vogler vor sich hin, aber er fand keine Lösung für dieses Dilemma. Widerstrebend kam er zu dem Schluss, dass es sinnlos war, weiter darüber nachzudenken. Er war schließlich Mitglied der SS. Zwar mochte es für ihn einen schalen Beigeschmack haben, doch als Vogler schließlich das Auto startete, wusste er, dass er diesen Befehl ausführen würde. Wie jeden anderen auch.

    Nein, es war falscher Alarm gewesen. Gespannt lauschte er in die Nacht, achtete auf jedes noch so leise Geräusch. Oppenheimer presste sich gegen die Steinmauer der Villa. Doch so sehr er auch horchte, hier war keiner. Er war völlig allein.
    Das bedeutete, dass alles nach Plan verlief. Bauer hatte ihm mit einer Räuberleiter über den halbhohen Zaun geholfen. Im Schutz der Nacht war Oppenheimer quer durch den Garten gelaufen und hatte das Gebäude umrundet, bis er auf der Rückseite angekommen war. Jetzt konnte er nicht mehr tun als warten.
    Die Autofahrt von Zehlendorf bis zur kleinen Villa, in der sich Voglers Büro befand, hatte nur wenige Minuten gedauert. Sie mussten lediglich einige Kilometer nach Westen fahren und die Wannseebrücke überqueren. Das Seeufer war eine äußerst begehrte Wohngegend. Hier hatte der Geldadel um die Jahrhundertwende zahlreiche schlossähnliche Villen mit mediterran anmutenden Gärten errichtet. Auch die Berliner Prominenz hatte es schon immer an den Wannsee gezogen. Nur wenige hundert Meter von Voglers Büro entfernt residierten so unterschiedliche Persönlichkeiten wie der weltberühmte Chirurg Ferdinand Sauerbruch und der Schauspieler Heinz Rühmann. In den Jahren der Inflation waren skandalumwitterte Spekulanten in das exklusive Viertel gezogen und schließlich auch die Parteibonzen der NSDAP. Außerdem wurden diverse Erholungs- und Schulungsstätten von Parteiorganisationen wie der NS-Frauenschaft oder der Nationalsozialistischen Volksfürsorge genutzt.
    Wannsee galt als ruhiger Stadtteil und war von Bombenangriffen bislang weitgehend verschont geblieben. Damit war dieses Viertel geradezu prädestiniert für die Ausübung von diskreten Arbeiten. Nach Angaben von Lüttke hatten auch der SD und die Gestapo in den Jahren nach Hitlers Aufstieg einige Grundstücke in den Villenkolonien beschlagnahmt oder zwangsweise in arischen Besitz überführt. Erstaunt hatte Oppenheimer vernommen, dass der SD neben mehreren Instituten sogar ein palastartiges Gästehaus direkt am Wannseeufer unterhielt. Die Villa, der Oppenheimer einen Besuch abstatten sollte, war nicht ganz so groß geraten, reichte jedoch immerhin aus, um mehrere Büros des SD zu beherbergen. Bauer hatte behauptet, dass nur das Eingangsportal bewacht wurde. Aus diesem Grund wollte der Verbindungsmann Oppenheimer um Punkt zehn Uhr durch ein Fenster einschleusen.
    Oppenheimer reckte sich. Missmutig fragte er sich, ob er den Leuten von der Abwehr trauen durfte. Eigentlich sollte sich das Fenster direkt über seinem Kopf öffnen. Doch der Verbindungsmann hatte sich noch nicht blicken lassen. Oppenheimer schaute auf seine Taschenuhr, aber es war zu dunkel, um etwas erkennen zu können. Fünf vor zehn hatte er das Auto verlassen und war über den Zaun gestiegen. Konnten fünf Minuten eigentlich so lange dauern? Oder war am Ende gar seine Uhr kaputt? Er horchte daran: sie tickte.
    Unsicher musterte Oppenheimer seine Umgebung und vergewisserte sich erneut, dass er das richtige Fenster erwischt hatte. Es musste die verabredete Stelle sein. Es war genau so wie von Bauer beschrieben. Nur hier konnte Oppenheimer durch das Fenster einsteigen,

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