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Germania: Roman (German Edition)

Germania: Roman (German Edition)

Titel: Germania: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Gilbers
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ja, diese Frage wird uns wohl niemand beantworten können. Jedenfalls ist die Justiz auf Lutzow erst aufmerksam geworden, als er in Moabit die Frau des Gewerkschafters angriff. Das war im September 1932. Diese Unterlagen hier wurden ursprünglich für die Mordanklage zusammengestellt. Der Richter wertete Lutzows Verhalten als heimtückischen Angriff und verurteilte ihn zum Tod.«
    »Und dann erfolgte ein paar Monate später Hitlers Machtergreifung.«
    »Genau. Lutzow hat Schwein gehabt. Sein Mord wurde als politisch motivierte Tat gesehen, und das Urteil wurde nie vollstreckt. Sie haben ihn anstandslos wieder auf freien Fuß gesetzt. Doch einige Zeit später kommt es zu einem Knick in Lutzows Parteikarriere. Als in der NSDAP der Machtkampf zwischen den verschiedenen Lagern entbrannte, scheint er der SA treu geblieben zu sein.«
    Hilde ließ sich das durch den Kopf gehen. »Dann war er aber ganz schön blöd. Wenn er wirklich nur Karriere machen wollte, dann wäre er spätestens nach der Nacht der langen Messer zur SS übergelaufen, als Röhm und die ganze Führungsriege der SA massakriert wurden.«
    »Also, ich kann das nachvollziehen«, erwiderte Oppenheimer. »Sicher vertrat er die Meinung, dass er und seine Kumpane von der SA die Drecksarbeit gemacht hatten. Die Straßenkämpfe hatten ja den Grundstein dafür gelegt, dass Hitler an die Macht gelangen konnte. Doch der Dank des Führers bleibt aus, und stattdessen gewinnen die Konkurrenten von der SS immer mehr an Einfluss.«
    Hilde schüttelte den Kopf. »Moment, du darfst aber nicht vergessen, dass es nicht in erster Linie an der SS lag, dass die SA abserviert wurde. Röhm war derartig bescheuert, dass er sich ausgerechnet mit der Reichswehr angelegt hat. Dieser geltungssüchtige Trottel träumte davon, das ganze Militär nach seiner Pfeife tanzen zu lassen.«
    »Natürlich weiß ich das«, protestierte Oppenheimer. »Vielleicht hat Lutzow ja dasselbe erhofft. Auf jeden Fall hatte die SA keine Chance, sich durchzusetzen. Hitler wurde der braune Pöbel zu unfein, der ihn an die Macht gebracht hatte. Er war jetzt Reichskanzler und versuchte, respektabel zu erscheinen. Zu dumm, dass in dieser Situation ausgerechnet Röhm Anführer der SA war. Röhm sah seine eigenen Leute als Speerspitze der neuen Ideologie und spielte den Revolutionär, während Hitler in erster Linie seine Macht absichern wollte. Als Röhm sich nicht abspeisen ließ und zu renitent wurde, war das sein eigenes Todesurteil. Jetzt stell dir mal vor, was Lutzow in dieser Situation dachte. Für die SS war nach den Morden die Bahn frei, die SA blieb zwar offiziell bestehen, besaß jedoch keinen Einfluss mehr. Lutzow und seine Kameraden wurden allenfalls noch zu Parademärschen gebraucht, um Masse zu machen.«
    Hildes Augen verengten sich, als sie diesen Gedanken weiterführte. »Lutzow wird sich wieder mal entfremdet gefühlt haben, ganz klar. Er sah, dass der Nationalsozialismus eine Richtung einschlug, die ihm nicht passte. Das könnte der Auslöser dafür gewesen sein, sich allmählich von der Parteilinie zu distanzieren.«
    »Doch es gibt einen wichtigen Punkt dabei.« Oppenheimer hob seinen Zeigefinger. »Er stellt das Fundament dieser Ideologie nicht in Frage. Er will nur einen Nationalsozialismus nach seinen eigenen Vorstellungen.«
    »Allerdings wird seine Einstellung immer verschrobener.« Hilde war jetzt sichtlich aufgeregt. Sie schien auf etwas gestoßen zu sein. »Nicht mal die Politik eines Irren wie Hitler kann da noch mithalten. Dabei spielt natürlich Lutzows latenter Hass auf Frauen wieder eine wichtige Rolle. Als er erfahren hatte, dass er Syphilis hat, begann er, Frauen zu dämonisieren, die er für Huren hielt. Egal, wie er das jetzt genau definieren mag, jedenfalls klassifiziert er sie als unrein und hat Angst, sich nochmals zu infizieren. Beim Mord an der Frau des Gewerkschafters kommt es zu einem Ausbruch. Spätestens seit dieser Tat sind sein Frauenhass und die nationalsozialistische Ideologie miteinander verknüpft.«
    Oppenheimer wog Hildes Überlegungen ab. »In der Folgezeit hat Lutzow dann aus diesen Elementen seine eigene Ideologie zusammengezimmert. Und mit dem Resultat haben wir jetzt zu kämpfen. Du hast recht, Hilde, das würde zusammenpassen.«
    »Mist!«, fluchte Lüttke. Oppenheimer und Hilde wurden zur Seite geschleudert. Aus dem Augenwinkel konnte Oppenheimer gerade noch erkennen, dass sie im letzten Moment einem Schutthaufen ausgewichen waren, der sich mitten auf

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