Germania: Roman (German Edition)
vor Sonjas Grab und wusste nicht so recht, was ihn hergetrieben hatte.
Zerstreut nahm er wahr, wie sich schwere Schritte näherten. Doch es war nicht Hoffmann, der in seinem Blickfeld erschien, sondern Vogler.
»Eine Bekannte von Ihnen?«, fragte er, während er auf den Grabstein blickte.
»Eine Kollegin.« Mit einem Mal fand Oppenheimer Vogler ungemein lästig. »Gibt es Neuigkeiten?«
»Wir kennen den Namen der Toten. Sie hieß Inge Friedrichsen.«
Oppenheimers Herz begann, heftig zu schlagen. Das konnte der Durchbruch sein.
»Ihre Vermieterin, eine Frau Korber, hat sie als vermisst gemeldet«, fuhr Vogler fort. »Die Beschreibung stimmt überein.«
»Wurde sie denn bereits identifiziert?«
»Frau Korber hat eine Vorladung erhalten.«
Also war es noch nicht sicher. Vogler hatte noch einiges zu lernen. Ein routinierter Kriminalbeamter hätte niemals hinausposaunt, dass eine Leiche identifiziert ist, wenn dies noch nicht zweifelsfrei erfolgt war.
»Na, dann schauen wir mal«, sagte Oppenheimer und stapfte los.
»Wo wollen Sie hin?«
»Zum Leichenschauhaus, was denken Sie denn? Dann können wir uns gleich erkundigen, wo der Obduktionsbericht bleibt.«
Als sie eintrafen, war Frau Korber längst wieder gegangen. Sie hatte den Leichnam bereits am Vormittag als ihre Mieterin Inge Friedrichsen identifiziert.
Sie gingen mit einem der Assistenten zur Kühlkammer. Hinter den dicken Brillengläsern schwammen seine Pupillen wie zwei Fische in einem Wasserbecken. Natürlich musste Vogler umständlich erklären, was Oppenheimer hier zu suchen hatte. Dennoch konnte es sich der Assistent in seinem weißen Kittel nicht verkneifen, beim Gehen hin und wieder verstohlen auf den Davidstern zu starren, ganz so, als sei Oppenheimers Anwesenheit ein Test und er sich unsicher, ob er ihn bestanden hatte.
»Dreiundsechzig Jahre alt, ich dachte, die kippt mir auf der Stelle um«, sagte der Assistent über Frau Korber.
»Und das haben Sie zugelassen?«, fragte Oppenheimer. »Gab es sonst niemanden, der Inge Friedrichsen identifizieren konnte?«
Vogler zuckte nur mit den Schultern. »Weitere Mieter gibt es nicht, und ihre Söhne sind an der Front. Da ließ sich nichts machen.«
»So, jetzt sind wir gleich da«, meinte der Assistent. Kälte schlug ihnen entgegen, als er sie in einen Raum voller Kühlfächer führte. Der Blick des Assistenten geisterte über die Liste in seiner Hand. »Inge Friedrichsen, das wäre Nummer 46513.« Er wollte gerade nach der Toten suchen, als ihn Oppenheimer zurückhielt.
»Einen Moment«, wandte er ein. »Die Leiche habe ich bereits begutachtet.«
Der Assistent blickte auf. »Was wollen Sie dann hier? Das Protokoll der Leichenschau?«
»Darauf warten wir schon die ganze Woche! Diese Untersuchung ist von höchster Priorität. Ich hoffe, ich habe mich klar ausgedrückt. Wer hat die Obduktion durchgeführt?«
»Ähm, Dr. Gebert.«
»Der alte Gebert?« Oppenheimer stutzte kurz. Mit Gebert war er in der Vergangenheit ein paarmal aneinandergeraten. Ihre Temperamente waren schlichtweg zu verschieden. »Hm, nun ja, hilft nichts. Ist er zufällig gerade mit einem anderen Leichnam beschäftigt?«
»Ich glaube nicht.«
»Danke«, sagte Oppenheimer knapp, drehte sich um und ließ den Kittelträger stehen.
»Was tun Sie da?«, rief ihm der Assistent hinterher.
»Ich werde mit Dr. Gebert die Angelegenheit klären.«
»Das können Sie nicht so einfach! Dr. Gebert ist ein vielbeschäftigter Mann!«
»Das bin ich auch«, erklärte Oppenheimer und verließ den Raum.
Es dauerte nicht lange, bis ihm wieder eingefallen war, wo sich Geberts Büro befand. Als er vor der Tür stand, hielt er kurz inne und pumpte Luft in seine Lungen. Dann klopfte er und trat ein, ohne die Aufforderung dazu abzuwarten.
Hinter dem Schreibtisch saß Gebert über Papiere gebeugt und blickte auf. »Was ist denn? Ich habe doch gesagt …«
Seine Gereiztheit verflog, als er Oppenheimer in der Tür sah. Überrascht lehnte er sich in seinem Sessel zurück.
»Sieh an. Das konnte auch nur unser Kommissar Oppenheimer sein. Wer sonst stürmt einfach mir nichts, dir nichts in ein Büro herein?« Dann nickte er kurz. »Schön, Sie zu sehen«, log er.
»Sie haben Inge Friedrichsen obduziert?«
»Friedrichsen? Der Name sagt mir nichts. Da müsste ich in den Unterlagen nachsehen.«
»Sonntag eingeliefert, etwa fünfundzwanzig Jahre alt, blond, mit schweren Verstümmelungen im Schambereich.«
Dr. Gebert sagte: »Ja, ich erinnere
Weitere Kostenlose Bücher