Germania: Roman (German Edition)
überhaupt eine Ahnung, wo du warst?«
»Wir waren irgendwo in Zehlendorf.«
»Allerdings. Scheiße noch mal! Na ja, es ist nicht gerade die Höhle des Löwen, aber auch nur knapp daran vorbei.«
Oppenheimer blickte sie verständnislos an.
»Nette Gegend, die du mir beschrieben hast, mit all den Häuschen und so weiter.« Sie schnaubte verächtlich. »Man findet dort auch eine äußerst nette Nachbarschaft. Alles linientreue Volksgenossen, die da wohnen. Ahnungsloser Tropf! Du hast noch nie was von der Kameradschaftssiedlung in Zehlendorf gehört? Wohin du dort auch siehst, ringsum alles Mitglieder der SS. Leben da mit ihren Familien die kühnsten Spießerträume aus. Wenn du mich fragst, ich würde für diese Leute keinen Finger krumm machen.«
Oppenheimer seufzte. »Ich weiß, ich weiß. Aber sag mir, was ich sonst tun kann.«
»Es sieht zumindest nicht so aus, als könntest du mit deinen Friedhofsbesuchen noch Zeit schinden.«
»Wenigstens planen sie mich weiterhin ein«, beruhigte Oppenheimer sich selbst. »Sonst würden sie mich am Montag ja nicht heranzitieren.«
»Auf jeden Fall scheint dich – wie heißt das Arschgesicht noch mal? Vogler? Jedenfalls scheint Vogler dich als Geheimnisträger einzustufen. Kein Wunder, dass du jetzt diese Eskorte an den Hacken hast. Sag mal, ist dir bei dem Obduktionsbericht etwas Merkwürdiges aufgefallen?«
»Allerdings. Die Anzahl der Verletzungen. Ich habe das sofort am Fundort bemerkt. Doch ich kann es mir nicht erklären.«
»Schauen wir uns mal den Ablauf an. Zuerst treibt er seinem Opfer Nägel in den Kopf. Das sieht mir ganz nach Sadismus aus. Aber die Frage ist, warum er die Frau nach der Tötung auch noch zusätzlich verstümmelt hat.«
»Tja, und zuletzt legt er die Tote sogar an einer frei einsehbaren Stelle ab, an der sie gefunden werden muss. « Hilde wollte etwas sagen, doch Oppenheimer winkte ab. »Ich weiß schon. Natürlich wollte er, dass sie entdeckt wird. Das ist die einzig mögliche Erklärung. Hm, wenn ich daran denke, der Stein, die gespreizten Beine … Es kommt mir fast so vor, als hätte er die ganze Sache gewissermaßen« – er suchte nach dem richtigen Wort – »gewissermaßen inszeniert. «
»Welche Gründe können wir uns dafür vorstellen, dass jemand eine Leiche nicht einfach spurlos verschwinden lässt, sondern sie besonders auffällig zur Schau stellt?«
Oppenheimer dachte angestrengt nach. Dann lachte er verlegen. Schon vor dem Sprechen wusste er, dass seine Antwort falsch war. »Die einfachste Lösung wäre wohl, dass sich das Über-Ich des Mörders gegen die Taten wehrt. Der Täter möchte gefasst werden, damit ihn jemand davon abhält, noch mehr Morde zu begehen.«
»Ach, hör mir doch auf mit dem Scheiß!«
»Auf diese Reaktion habe ich gewartet«, erwiderte Oppenheimer mit einem breiten Grinsen. »Aber selbst wenn man das nicht in Betracht zieht – schon allein die Tatsache, dass er die Leiche in dieser bestimmten Weise hergerichtet hat, legt nahe, dass er sich mitteilen will.«
»Es hat nur einen Schönheitsfehler«, gab Hilde zu bedenken. »Wenn jemand etwas mitteilen möchte, dann gibt es auch einen Empfänger. Dass der Luftschutzwart die Leiche gefunden hat, war mehr oder weniger ein Zufall. Es hätte genauso gut jemand anderes sein können. Wer kam danach?«
»Sicherheitsdienst, SS, das Mordauto der Kripo, am Schluss ich selbst«, erwiderte Oppenheimer.
Hilde dachte angestrengt nach. »Könnte es nicht vielleicht sein, dass er mit euch kommunizieren möchte? Mit den Ermittlern?«
Oppenheimer zog seine Augenbrauen zusammen. Dieser Gedanke war verstörend, weil er eine unmittelbare Verbindung zwischen ihm und dem Täter herstellte. »Möglich«, pflichtete er Hilde bei. »Wenn man darüber nachdenkt – es ist möglich.«
»Weißt du, an wen ich zuerst dachte, als du mir den Leichenfund beschrieben hast? Großmann war es nicht. Der hat seine Leichen verstümmelt, damit man sie nicht identifizieren konnte und damit sie sich leichter beseitigen ließen. Das trifft auf unseren Fall ja nicht zu.«
Oppenheimer nickte. »Ich weiß. Kürten gäbe es auch noch. Mir waren dieselben Gedanken gekommen. Aber die Parallelen gehen nur bis zu einem gewissen Punkt.«
»Mag sein. Also, welche Unterschiede gibt es zum Vampir von Düsseldorf? Kürten hat seine Opfer erstochen. Auch unsere Dame wurde mit einem Messer getötet.«
Oppenheimer nickte. »Kürten trank das Blut und verging sich an den Opfern«, murmelte er.
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