Germania: Roman (German Edition)
Oberseite des Betonblocks zu gelangen.
Nachdem er noch ein paar Schritte um den Belastungskörper herumgewandert war, gab Oppenheimers Verfolger schließlich auf. Zögerlich wandte er sich wieder dem Gehweg zu und kehrte zur Hauptstraße zurück.
Als sich der Mann entfernte, löste sich Oppenheimers Anspannung. Er wusste, dass er seinen Verfolger überlistet hatte.
»Hast du schon das Neueste von Herrn Conti gehört?«
Oppenheimer hatte kaum seinen Hut ablegen können, als ihn Hilde schon mit dieser Frage überfiel.
»Conti?« Oppenheimer kramte erfolglos in seinem Gedächtnis. »Ich fürchte, der Name sagt mir nichts.«
»Ja, Conti, Leonardo Conti, dieser Bastard. Er ist unser Reichsgesundheitsführer. Von Müttern hat er, jetzt pass mal auf, Geburtenhöchstleistungen gefordert, damit ihre Männer beruhigt an die Front gehen können. Na, da lässt man sich doch gerne abschlachten, wenn daheim erst mal der Nachwuchs gesichert ist.«
»Es ist wohl eine Frage, welche Prioritäten man setzt«, antwortete Oppenheimer lahm.
Wie gewöhnlich versorgte Hilde ihn daraufhin mit den neuesten Nachrichten, die sie im Schutz ihrer Wohnung als unverbesserliche Rundfunkverbrecherin bei der BBC aufgeschnappt hatte. In Italien hatte die Offensive der Alliierten begonnen. Auch sonst sah es nicht rosig aus für die nationalsozialistische Garde. Bei Luftangriffen waren die Leuna-Werke zu achtzig Prozent zerstört worden. Auch ein Benzinlager war in Flammen aufgegangen.
»Sie haben versucht, Rohstoffe von der Ostfront zu kriegen«, schloss Hilde ihren Bericht. »Jetzt, wo das nicht klappt, stehen sie mit den letzten Reserven da.«
Oppenheimer hörte nur halb hin, denn er war gerade damit beschäftigt, in seiner Plattensammlung herumzustöbern. Seine Wahl fiel auf die erstbeste Sinfonie von Mozart. Es war der richtige Moment für eine Komposition, die dahinplätscherte, so dass man sich dabei entspannen konnte. In ketzerischen Momenten dachte er häufig daran, dass die Musik des achtzehnten Jahrhunderts im Wesentlichen genau zu diesem Zweck komponiert worden war. Erst gegen Ende jenes Jahrhunderts waren junge Hitzköpfe wie Beethoven aufgetaucht, die mit ihren Kompositionen größere Aufmerksamkeit vom Publikum verlangten.
Im Gegensatz zu vielen Musikliebhabern hatte Oppenheimer nie eine große Vorliebe für Mozart gehabt. Die Opern fand er durchaus interessant, doch wenn es um die Sinfonien ging, tat er sich schwer, eine von der anderen zu unterscheiden. Er besaß die Schallplattenaufnahmen von der Prager und von der Jupiter Sinfonie eigentlich nur, um seine Sammlung zu komplettieren. Allerdings sträubte er sich nach wie vor, die berüchtigte Serenade Nr. 13 G-Dur KV 525 anzuhören, die im allgemeinen Sprachgebrauch als Eine kleine Nachtmusik bekannt war, da er sie schrecklich banal fand. Trotz Mozarts Popularität hatte sich Oppenheimer schon seit längerem darüber gewundert, dass noch keine Nazi-Größe auf die Idee gekommen war, dessen Musik als entartet zu klassifizieren. Schließlich gehörte der Komponist als Freimaurer zu einer Bevölkerungsgruppe, die Hitler ebenso sehr hasste wie Juden und Kommunisten. Mit diesen Gedanken setzte Oppenheimer die Nadel auf die Rille der schwarzen Scheibe.
»Ich nehme an, ihr seid am Montag glimpflich davongekommen?«, fragte Hilde.
Oppenheimer wusste zunächst nicht, was sie meinte, bis er sich wieder an den Tagesangriff erinnerte. Es hatte in letzter Zeit so viele Bombenangriffe gegeben, dass er sie kaum noch auseinanderhalten konnte.
»Lisa war zum Glück bei der Arbeit, als es geschah. Die haben einen guten Bunker. Unser Haus ist noch in Ordnung, obwohl es um den alten Kasten eigentlich nicht schade wäre.« Dann wechselte er das Thema. »Du hast mich noch nicht gefragt, wie die Untersuchung läuft.«
»Willst du etwa sagen, dass sich schon etwas ergeben hat?«
»Zumindest stehe ich seit neuestem unter Beschattung.«
Hilde blickte ihn mit großen Augen an. »Seit wann weißt du das?«
»Ich habe es eben vor ein paar Minuten herausgefunden.« Oppenheimer berichtete Hilde von seinem Erlebnis und schilderte danach die neuesten Entwicklungen im Mordfall. Als er die Siedlung beschrieb, in der sich sein Büro befand, verschluckte sich Hilde vor Überraschung an ihrem Schnaps. Als sie mit hochrotem Kopf hustend nach Luft rang, stieß sie einige Wortfetzen hervor, doch Oppenheimer wurde nicht klug daraus.
»Alles wieder gut?«, fragte er, als sie wieder Luft bekam.
»Hast du
Weitere Kostenlose Bücher