Germania: Roman (German Edition)
schwierig, das nachzuprüfen.«
»Wir haben den Hintergrund von Fräulein Friedrichsen noch nicht vollständig geklärt.«
»Woran denken Sie da?«
»Nun, zum Ersten wäre es natürlich interessant zu wissen, wer der Vater ihres Sohnes war. Ein illegitimes Kind kann durchaus ein Motiv für einen Mord sein.«
Vogler blickte ihn überrascht an. »Sie hatte ein Kind?«
Oppenheimer gab ihm die Photographie. »Hier. Ihre Kollegen haben das wohl übersehen. Sie arbeitete im Lebensborn-Heim Kurmark. Es wäre durchaus möglich, dass unser Täter auch von dort kommt. Bis Berlin ist es nicht weit. Mit der Bahn wäre das problemlos zu schaffen. Ich denke, es ist sinnvoll, unsere Ermittlungen auf Klosterheide auszuweiten. Die Alibis ihrer ehemaligen Arbeitskollegen müssen ebenfalls überprüft werden.«
»Hm, sie arbeitete beim Lebensborn.« Vogler runzelte die Stirn. »Interessant, was Sie da ausgegraben haben, Oppenheimer. Das bedeutet, dass sich die Zahl der potenziellen Verdächtigen schlagartig erhöht hat.«
»Ich befürchte, ja. So läuft das Spiel nun mal. Wir dürfen nichts außer Acht lassen. Wann fahren wir, um das Heim zu besuchen?« Oppenheimer blickte Vogler auffordernd an.
9
Mittwoch, 17. Mai 1944 – Freitag, 19. Mai 1944
D as Haus in der Zehlendorfer Kameradschaftssiedlung blieb für Oppenheimer ein Rätsel. In den nächsten Tagen verbrachte er seine meiste Zeit dort, um die Informationen zu sortieren. Vogler fuhr nach der morgendlichen Besprechung stets fort und ließ ihn mit dem Funker zurück, der einsam im Keller vor seinen Geräten saß. Da sich Oppenheimer relativ unbeobachtet fühlte, erkundete er vorsichtig seine Umgebung, wenn er sich von seinen Papierstapeln losreißen konnte. Das Erdgeschoss bestand aus dem Flur, dem Wohnzimmer, in dem er arbeitete, der Küche und einer Lebensmittelkammer. Die Küche war komplett eingerichtet, doch an Nahrungsmitteln herrschte ein gravierender Mangel. Der ursprüngliche Eindruck, dass hier niemand lebte, schien sich zu bestätigen. Zum Glück gab es eine große Dose voller Kaffeebohnen, die Oppenheimer mahlen konnte, um sich gelegentlich mit Kaffee zu stärken. Hinzu kamen die Butterbrote, die Hoffmann vorbeibrachte. Bedenkenlos machte Oppenheimer ausgiebigen Gebrauch von diesem Luxus.
Vom oberen Stockwerk sah er nicht viel. Die Türen der Zimmer waren geschlossen, so dass die Treppe nach oben in die Dunkelheit führte. Dort mussten sich die Schlafzimmer befinden. Oppenheimer wagte jedoch nur, zwei, drei Stufen leise emporzusteigen, um zwischen den Sparren des Geländers hindurchzuspähen. Aber er konnte nichts Neues in Erfahrung bringen.
Ganz anders erging es ihm in Bezug auf die Mitarbeiter bei Höcker & Söhne. Hier wurde er mit Informationen geradezu erschlagen. Schon am Mittwochmorgen lagen die ersten Berichte vor, und am nächsten Tag wuchs der Stapel mit penibel aufgelisteten Namen und Details noch weiter an. Vogler schienen hauptsächlich Leute vom SD zuzuarbeiten, die für solche Schnüffelarbeiten ohnehin die beste Wahl waren. Dass die Informationen über Inge Friedrichsens Arbeitskollegen auf den ersten Blick alles andere als spektakulär waren, konnte man Voglers Spionen jedoch kaum anlasten. Oppenheimer rechnete damit, dass sie bei diesem Tempo nicht lange brauchen würden, um auch die letzten Zeugen zu befragen.
Nun hatte eine Phase der Untersuchung begonnen, die stets Ermüdungserscheinungen bei Oppenheimer hervorrief. Die Routinearbeit. Wie gewöhnlich notierte er die Namen der Verdächtigen auf Zettel. Nachdem ihn der Funker mit Reißzwecken versorgt hatte, pinnte Oppenheimer die Papiere einfach an die Wand. Dabei folgte er einem Schema, das nur er richtig verstand. Er hatte einmal versucht, sein System einem Kommissaranwärter zu erklären, jedoch nach einer frustrierenden Woche entnervt aufgegeben. Dabei fand er selbst alles sehr einfach.
Zunächst heftete er den Zettel mit Inge Friedrichsens Namen in die Mitte der Wand. Dann folgten die übrigen Zettel, die er in einem weiten Kreis um den ersten anbrachte. Je näher sich der Zettel eines Verdächtigen bei dem Namen des Mordopfers im Zentrum befand, umso wahrscheinlicher war es, dass er der Täter war. Nach kurzem Überlegen rückte Oppenheimer den Zettel mit dem Namen von Bertram Mertens einige Zentimeter näher zum Mittelpunkt. Er hatte eine Abfuhr von Fräulein Friedrichsen erhalten, was möglicherweise ein Motiv sein konnte. So verfuhr Oppenheimer dann auch mit den anderen
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